Die Love Parade der Kulturen

Mit Kühltruhe und Campingtisch zogen die Berliner zum vierten Mal aus, sich an Leib und Lukullus der Hauptstadtnationalitäten auf dem Karneval der Kulturen zu laben  ■   Von David Reed (Fotos)

rommelwirbel zahlreicher Bongos ziehen sich wie ein Stückchen Dschungel durch Kreuzberger Straßen: Der vierte Karneval der Kulturen in Berlin fiel dieses Jahr mit dem 50. Jahrestag des Grundgesetzes zusammen und zog nicht nur herrlichen Sonnenschein, sondern auch große Scharen von ZuschauerInnen in den Westberliner Kiez. 350.000 Gaffer sorgten für einen neuen Besucherrekord. Mit etwa 115 Wagen und rund 4.000 TänzerInnen kämpfte sich der Multikulti-Zug am Pfingstsonntag von der Urbanstraße zum Viktoriapark; mehr als 70 Länder waren vertreten.Bereits am frühen Vormittag suchten sich einige Ausdauernde ihr Plätzchen am Rand der Umzugsstrecke. Der Campingtisch wurde ausgeklappt, das Sixpack Berliner Kindl aus der Kühltruhe geholt. Auch Mauern, Zäune und Ampeln wurden im Kampf um den besten Aussichtspunkt bestiegen. Pünktlich gegen 13 Uhr setzte sich dann der bunte Trubel im Schritttempo in Bewegung. Lila Holzpantoffel steppten im Takt swingender Afrolocken. Brasilianische Klänge mischten sich mit Kung-Fu-Fightern, gefolgt von russischer Musik und türkischen Haremsklängen. Charlie Chaplin warf vom Wagen der Ufa-Fabrik eine Weltkugel in die Menge, die „Weiße Rose“, ein Jugendkulturzentrum, verkaufte die Erde. Doch beteiligten sich nicht nur ferne Länder am interkulturellen Event. Kreuzberger Rentner grüßten mit umgedichteter Musik „Weine nicht, wenn die Rente kommt, dam, dam“ ihr Seniorenamt, und auch die Jungsozialisten brachten ihr politisches Engagement im Tigerkostüm zum Ausdruck. „Politik ist hier doch völlig fehl am Platz“, kommentierte ein etwas rundlicher Mann im neuen Hawaihemd, „ich will tanzen, tanzen, tanzen!“ Die passenden Tanzschritte konnte man sich aus der vordersten Reihe ein wenig abgucken. Lange Gesichter gab es jedoch, als Werbeansagen den Reagge unterbrachen: „Dieser Wagen wurde gesponsert durch ...“

So schien der Spagat zwischen Kommerz und multikukulturellem Anspruch dieses Jahr weitaus mehr auf der Anzeigenseite zu liegen. Jeder Wagen trug mindestens ein oder zwei Reklametransparente – die Zuschauer störte es wenig. Selbst der Tagesspiegelwagen, welcher sich mit zwei riesigen Hörnern den Weg durch die Massen bahnte, pries sein neues Layout erfolgreich an, und auch der Wagen mit der Aufschrift „Viel Spaß mit Budweiser“ war nicht von wenigen umringt. Für all jene, die weniger auf Afrolocken und vielmehr auf Latex stehen, bot die angehängte Technokarawane verschiedener Clubs schon mal ein Vorgeschmack auf die Love Parade. Apropos Love: Natürlich durfte auch ein multikulturelles Pärchen nicht fehlen, welches sich während des Umzugs im Hochzeitsbus trauen ließen. Zu guter Letzt brachte auch noch die BSR einen Farbtupfer in das schillernde Treiben: In knallorangen „We kehr for you“ T-Shirts befreiten die Saubermänner die Straßen vom übriggebliebenenen multikulturellen Müll. Katrin Cholotta