Hilfsgelder versickern in Managua

■  Heute beginnt in Stockholm eine internationale Geberkonferenz für Zentralamerika. Deutsche Abgeordnete fordern, Nicaraguas Regierung keine weitere Hilfe zu bewilligen

Berlin (taz) – Es war schon Ketzerei, was die drei deutschen Bundestagsabgeordneten Karin Kortmann, Albrecht Papenroth (beide SPD) und Hans-Christian Ströbele (B90/Grüne) am vergangenen Donnerstag in Nicaraguas Hauptstadt Managua der erstaunten nicaraguanischen Presse erzählten: Nach dem, was sie als Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit bei ihrem viertägigen Aufenthalt in Nicaragua gesehen hätten, würden sie sich, sagten sie, bei ihrer Regierung dafür einsetzen, jegliche weitere Hilfe an Nicaragua strikt zu konditionieren. Das Verhalten der nicaraguanischen Regierung gebe Anlaß zu Zweifeln, ob die internationale Hilfe tatsächlich auch die Bedürftigen erreiche. Nicaraguas Präsident Arnoldo Aleman, gab Kortmann zu Protokoll, sei ein „Heuchler“ – denn er nenne sich Katholik, enthalte aber den Armen die Hilfe vor.

Was die Deutschen da von sich gaben, schlug in Nicaraguas Öffentlichkeit ein wie eine Bombe: Schließlich beginnt heute in Stockholm eine internationale Geberkonferenz, bei der rund 50 Staaten und internationale Organisationen über weitere Hilfsleistungen an Zentralamerika beraten. Im Oktober vergangenen Jahres waren insbesondere Honduras und Nicaragua vom Hurrikan „Mitch“ verwüstet worden, rund 9.000 Menschen starben, Hundertausende verloren ihr Obdach. Die wirtschaftlichen Schäden werden auf zweistellige Milliardensummen geschätzt.

Nicaraguas Regierung verspricht sich von der Stockholmer Konferenz Hilfen in Höhe von rund 2,4 Milliarden Mark. Regierung und Medien Nicaraguas haben die Konferenz zur Lösung aller Probleme des Landes stilisiert. Vergangene Woche wurde gar bei einer Messe in Managua unter offenem Himmel Gottes Segen für die Konferenz erbeten.

Was die deutschen Abgeordneten jetzt ausgesprochen haben, weiß eigentlich jeder: Die Korruptionsskandale der Regierung Aleman sind kaum noch zu zählen. Besonders entsetzt waren die Deutschen über ihren Besuch in der Ortschaft Posoltega am Vulkan Casitas. Der Ort war unter einem schlammigen Erdrutsch in der Folge von „Mitch“ begraben worden. Noch immer liegen 1.000 bis 2.000 Tote unter den Erdmassen. Die Überlebenden 185 Familien leben noch heute, sieben Monate später, in notdürftig zusammengehämmerten Unterkünften aus Plastik, ohne Elektrizität und unter miserablen hygienischen Bedingungen.

Das Land, das sie im Dezember vergangenen Jahres besiedelt haben, gehört ihnen nicht, sondern dem Staat, und der will es auch nicht hergeben. Die Verantwortlichen, so der Verdacht der Einwohner von Posoltega, hofften darauf, daß internationale Organisationen das Land mit einem Verkehrswert von rund einer Million Dollar für die betroffenen Menschen kaufen könnten – und eine ganze Reihe Staatsbedienstete ihren Teil davon abbekommen könnten.

Just die unklaren Besitzverhältnisse aber führen dazu, daß die aus aller Welt für Posoltega bewilligten Hilfsgelder derzeit noch nicht eingesetzt werden konnten. Baumaterial, so Ströbele zur taz, „liegt herum“, kann aber nicht eingesetzt werden, weil die Regierung das Land nicht zur Verfügung stellt. „Wenn die Regierung nicht einmal in Posoltega hilft, was die Region mit der größten internationalen Aufmerksamkeit war, dann heißt das doch, daß diese Regierung die Hilfsgelder nicht vernünftig einsetzt“, sagt Ströbele. Er hoffe, daß sich die deutsche Regierung in Stockholm gegen Nicaraguas Forderungen ausspreche.

Der Mißbrauch von Hilfsgeldern hat in Nicaragua Tradition: Als 1972 ein großes Erdbeben die Hauptstadt zerstörte, kassierte der Diktator Anastasio Somoza die Hilfsgelder. Somoza wurde sieben jahre Später von der sandinistischen Revolution von der Macht gejagt – Managuas Stadtkern ist bis heute nicht wiederaufgebaut worden. Bernd Pickert