„Ich bin Pessimist“

■ Interview mit dem Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Zoran Djindjic, Ex-Bürgermeister von Belgrad, der nach Montenegro geflüchtet ist

taz: Sind die Desertionen aus der jugoslawischen Armee Proteste gegen den Krieg oder nur Sorge um die Familie?

Zoran Djindjic: Das ist gemischt. Die Soldaten sind schlecht untergebracht, es gibt Probleme mit der Nahrung und der Hygiene. Und nach zwei Monaten Krieg wissen sie nicht mehr so richtig, was los ist, welchen Sinn das alles hat. Die meisten Soldaten kommen nicht aus regierungstreuen Familien, es sind die Armen, die in den Krieg ziehen müssen.

Gibt es in Serbien überhaupt eine Opposition gegen den Krieg?

Ich würde sagen, es gibt eine starke Strömung für den Frieden. Die meisten Menschen wären froh, wenn Miloevic oder irgend jemand jetzt den Friedensplan akzeptieren würde. Das ist etwas weniger als Opposition gegen den Krieg, aber es ist mehr als nur Eigennutz oder Eigeninteresse.

Wie sehen Sie denn auf diesem Hintergrund den sogenannten Erfolg der Nato?

Ich sehe keinen Erfolg. Dies ist der längste Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist beschämend, wie das gelaufen ist in diesen zwei Monaten. Das heißt nicht, daß der Krieg ohne Folgen ist. Die Nato-Intervention hat eine Aufklärung der Menschen erschwert. Es ist schwierig, gegen das Regime zu sein, wenn Bomben fallen und zivile Ziele treffen. Das stärkt eher das Regime.

Fordern Sie vom Westen einen Stopp der Luftangriffe?

Das ist nicht realistisch. Ich würde es fordern, aber das ist ein moralischer Anspruch. Mit mehr Bomben ist nichts zu erreichen. Ich bin mir bewußt, daß auch das Flüchtlingsproblem gelöst werden muß. Natürlich. Aber mit der Verstärkung der Nato-Angriffe hat sich die Lage der Albaner nicht verbessert. Einfach noch mehr militärische Ziele zu treffen, das erschwert auch den Menschen in Serbien zu begreifen, worum es geht.

Richtet Miloevic sich jetzt auf einen länger dauernden Krieg ein, oder wird er eine Verhandlungslösung suchen?

Es ist generell schwierig bei ihm, das einzuschätzen. Es ist seine Taktik, ziemlich lange aushalten, ohne Eigeninitiative, nur abzuwarten und auszuharren. Und hoffen, daß der Gegner aufgibt. Und immer die eigenen Verluste und den eigenen Schaden minimalisieren. Man weiß nicht, wann diese starrsinnige Vorstellung zerbricht und wann er dann plötzlich die Realität akzeptiert und einen Rückzieher macht.

Das heißt, in den nächsten Wochen gibt es keine Chance für eine Verhandlungslösung, an der auch Rußlund beteiligt ist.

Heute würde ich sagen, daß wir noch mindestens zwei Wochen nichts von der Initiative hören werden. Meine Informationen sind, daß es zwei Engpässe gibt, einmal zwischen der Nato und Rußland und dann zwischen Rußland und Miloevic. Beide Engpässe sind nicht an einem Tag zu beheben. Also, leider bin ich Pessimist in bezug auf die nächsten Tage.

Der Einsatz von Bodentruppen wird also wahrscheinlicher ?

Ja, ich sehe das als wahrscheinlich an. Ich glaube, daß das jetzt eine realistische Option ist. Es kann allerdings Miloevic stärken in der Absicht, nicht einzulenken. Seine Absicht war von Anfang an nicht, den Krieg militärisch zu gewinnen, denn er ist nicht dumm. Seine Absicht war, politisch zu siegen, indem der Westen sich spaltet und dann irgendwann nachgibt. Bevor die chinesische Botschaft bombardiert wurde, schien es so zu sein, daß er aufgegeben hat. Ich habe das aus Kreisen um ihn erfahren. Aber jetzt fühlt er sich wieder gestärkt. Er hofft, daß er gewinnen kann. Aber das ist natürlich Quatsch.

Perspektivisch gedacht, sollte die Nato überhaupt noch mit Miloevic verhandeln?

Die Priorität ist ein Ende des Krieges, ohne Miloevic. Aber ich sehe das nicht als Chance. Wenn ein Friedensplan mit den Russen ausgehandelt werden soll, dann werden sie das nur mit Miloevic tun. Die Nato-Länder machen große Worte, aber alle Botschaften richten sich an Miloevic. Aber am Ende werden sie mit Miloevic reden und uns, die Opposition, im Stich lassen, wie schon oft in der Vergangenheit. Für uns wird es in Zukunft viel schwieriger werden, Miloevic loszuwerden, als vor diesem Krieg.

Immer mehr kosovo-albanische Männer werden über die Grenze abgeschoben. Welchen Sinn sehen Sie darin?

Keine Logik. Ich kann das nicht nachvollziehen. Warum die fest gehalten wurden, warum sie jetzt freigelassen werden, das kann ich nicht begreifen.

Wie sollte oder könnte eine Lösung aussehen?

Ja, wir haben jetzt eine diplomatische Katastrophe auf der Ebene der Politik im Sinne von sehr langsamer Diplomatie, sehr trägen politischen Initiativen und intensiven militärischen Aktionen. Ich würde das umkehren, die Diplomaten und Politiker müßten 24 Stunden arbeiten und Militärs jeden fünften Tag. Realistisch ist, daß die Nato und Rußland eine einheitliche Position haben, daß sie Druck ausüben, und zwar jeden Tag, und daß es aufgrund dessen zu einer Lösung kommt. Interview: Georg Baltissen