1,83 Meter Eigensinn

Annelie Buntenbach findet, daß nicht sie, sondern ihre Partei sich verändert hat. Wie eine grüne Bundestagsabgeordnete gegen den Kosovo-Krieg protestiert  ■ Von Bettina Gaus

Viele merkwürdige Geschichten sind in diesen Tagen über Annelie Buntenbach zu hören. Einen Sicherheitsbeamten soll sie in die Hand gebissen und Autonome mit Computern ausgestattet haben. Der Mann, der Joschka Fischer mit einem Farbbeutel am Ohr verletzte, hat angeblich mit ihr in einer Wohngemeinschaft gelebt. Um eine Boulevardzeitung von dieser Falschmeldung abzubringen, habe sie einen ganzen Tag gebraucht, erzählt die 44jährige. Sie lacht ein bißchen. Ungläubig und trotzig zugleich. „Da habe ich dann gemerkt, daß ich wohl versehentlich in der Oberliga gelandet bin.“ Dort hat sie bisher nie gespielt.

Wer ist Annelie Buntenbach? Bis vor kurzem hätten selbst zahlreiche Bonner Journalisten bei dieser Frage passen müssen. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen, die sich vor allem mit Arbeitsmarktpolitik und dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt, unterhält bessere Kontakte zu Gewerkschaften und Arbeitsloseninitiativen als zu den Medien. „Ich habe keine großartigen Ambitionen, in der ersten Reihe zu stehen.“

Andere aber schon, und denen kann auch eine Hinterbänklerin in diesen Tagen ziemlich lästig fallen. Vor allem dann, wenn sie einfach nicht einsehen will, daß die Bomben auf Jugoslawien unvermeidlich sind. „Ich halte militärische Mittel grundsätzlich nicht zur Durchsetzung von Menschenrechten geeignet – auch Krieg ist Menschenrechtsverletzung“, rief Annelie Buntenbach vor zwei Wochen auf dem grünen Parteitag in Bielefeld. Dieser Krieg richte sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung in Jugoslawien: „Tote Zivilisten sind eben kein ,Kollateralschäden', sondern tote Zivilisten.“ In einem Antrag forderte sie die „sofortige Einstellung der Nato-Luftangriffe“.

Seither sind diese seltsamen Gerüchte in Umlauf. Die Abgeordnete sieht darin den „Versuch, mich in eine Ecke zu drücken und zu diskreditieren, um sich mit meiner Position nicht inhaltlich auseinandersetzen zu müssen“. Natürlich kennt sie viele derjenigen persönlich, die am Rande des Parteitags demonstriert haben. Schließlich wohnt sie seit 1973 in Bielefeld und hat dort auch schon mal fünf Jahre im Stadtrat gesessen. Die Rede auf dem Parteitag war ihr bisher größter öffentlicher Erfolg. Nur wenige andere bekamen an diesem Tag soviel Applaus wie sie, auch von Delegierten, die ihre Ansicht nicht teilten.

Der Beifall dürfte nicht allein der Position der Rednerin gespendet worden sein. Annelie Buntenbach hat weder taktische Überlegungen angestellt noch mit den eigenen Gefühlen kokettiert, sondern einfach ihre Meinung gesagt. Versammlungen belohnen derart gradlinige Redlichkeit gerne. Der Applaus hat an der politischen Niederlage nichts geändert.

Seit die Delegierten in Bielefeld die Nato-Angriffe auf Jugoslawien gebilligt haben, weiß Annelie Buntenbach nicht mehr so recht, wie sie eigentlich zu der Partei steht, in die sie 1982 eingetreten ist. Es ist das erste Mal, daß sie sich dort mit einer Position in der Minderheit findet, die für sie zentrale Bedeutung hat. Auch früher war sie schon mal mit Kompromissen unzufrieden. Aber mit der großen Linie konnte sie gut leben. „Das hat sich jetzt geändert.“

Vielen Anhängern und Mitgliedern der Bündnisgrünen geht es in diesen Wochen so wie ihr. Einige wollen sich am 6. Juni in Dortmund treffen, um zu beratschlagen, wie es weitergehen soll. Annelie Buntenbach hofft, daß sich dort ein gemeinsames „Netzwerk“ von Kriegsgegnern bildet – unabhängig davon, ob dessen einzelne Mitglieder jeweils in der Partei bleiben oder sich von ihr lossagen wollen. „Ich will mit all denen weiter zusammenarbeiten.“

Mit ihrer Rede ist die Abgeordnete auf einen Schlag für viele zur Hoffnungsträgerin geworden. Das bedrückt sie eher, als daß es sie freut: „Ich finde erschreckend, daß die Leute glauben, ich wüßte, wie man das jetzt irgendwie weiter regelt.“ Das weiß sie eben nicht. Über Tage hinweg wußte sie doch nicht einmal, wie ihre eigene politische Zukunft aussehen soll. „Der Riß in meinem Verhältnis zur Partei und auch zur Fraktion ist ziemlich tief“, sagt sie. „Die Grünen waren früher mal ein selbstverständliches Zuhause, und das ist eben nicht mehr so.“ Das Argument, „man kann ja nichts machen, weil man jetzt in der Regierung ist“, kommt ihr widersinnig vor. Zur politischen gesellen sich menschliche Enttäuschungen, vor allem über manche der früheren Verbündeten aus der Parteilinken. Kürzlich warb jemand, mit dem sie in Vorkriegszeiten eng zusammengearbeitet hatte, um Nähe und Verständnis. „Ganz starr“ sei sie da geworden. Kann sie sich vorstellen, daß sich das auch wieder ändert? „Dazu kann ich im Moment wenig sagen.“

Eine Welle von Parteiaustritten hatten manche Beobachter nach der Bundesdelegiertenkonferenz erwartet. Die blieb aus. Auch Annelie Buntenbach ist weiterhin Mitglied ihrer Partei und ihrer Fraktion, und sie hat sich entschlossen, es zu bleiben. Nach langen inneren Kämpfen. Ironischerweise dürften die sich im Kern gar nicht so sehr von Konflikten mancher Regierungsmitglieder unterscheiden: Hier wie dort geht es um das rechte Verhältnis zwischen dem Wunsch, weiterhin selbst auf die Politik einwirken zu können, und dem Anspruch, eigenen Überzeugungen treu bleiben zu wollen. Wie es um die Einflußmöglichkeiten derer bestellt ist, die irgendwann den Bettel hingeschmissen haben, ließ sich auf dem Bielefelder Parteitag gut beobachten. Auch grüne Prominenz vergangener Tage war dorthin gereist. Jutta Ditfurth, Rainer Trampert, Thomas Ebermann. Für deren Meinung interessierte sich niemand.

Annelie Buntenbach will nicht zur Dissidentin werden, aber manchmal war die Kriegsgegnerin in den letzten Wochen eben einfach „angeekelt“. Dann wollte sie doch austreten, aus der Partei und aus der Fraktion. Und fürchtete zugleich, daß sie damit der Gegenseite den größtmöglichen Gefallen täte. „Vielleicht wollen die Realos ja, daß wir gehen.“ Vielleicht wollen sie es auch nicht. So lange jemand wie Annelie Buntenbach weiterhin die Grünen repräsentiert, bleiben die möglicherweise für manche wählbar, die sich sonst enttäuscht abwenden würden.

Hat sie Angst, als nützliche Idiotin Leute an die Partei zu binden? „Ja. Einfach ja.“ Aber das ist nicht ihre einzige Sorge. „Ich muß sehr aufpassen, nicht von vielen künftigen Sektenkönigen vereinnahmt zu werden.“ Außerdem will sie nicht in den Ruf kommen, Miloevic zu verteidigen. „Das ist nicht mein Ding. Ich stehe für die Einstellung aller Kampfhandlungen. Das richtet sich besonders an die serbische Adresse.“

Annelie Buntenbach wirkt ratlos in diesen Tagen. Gewiß, sie könnte wieder als Setzerin in dem Bielefelder Betrieb arbeiten, den sie mit Freunden vor ein paar Jahren gegründet hat. Aber sie hat sich ja damals entschlossen, für den Bundestag zu kandidieren, weil aus ihrer Sicht die außerparlamentarische Arbeit allein keine Veränderungen bewirken kann. „Die inhaltlichen Sachen, die ich mache, sind mir wirklich wichtig.“ Zu denen kommt sie aber im Moment gar nicht. Die Abgeordnete schafft es nicht, sich auf ihre eigentlichen Fachgebiete zu konzentrieren: „Ich verstehe, daß die Leute auch mal an etwas anderes denken wollen als an den Krieg. Ich kann das nicht. Ich kann das unheimlich schlecht verdrängen.“ Dann bricht es aus ihr heraus: „Dieser Krieg findet auch auf 630-Mark-Basis statt. Genauso schlecht durchdacht.“ Kaum gesagt, will sie das böse Wort am liebsten wieder zurückholen. Ob das nicht als zynisch mißverstanden werden könne? „Das klingt auch alles immer so besserwisserisch. Das meine ich aber nicht so. Meine ich wirklich nicht so.“

Vor Parteitagen ist in den Medien immer viel von der „unberechenbaren Basis“ der Grünen die Rede. Damit sind auch Leute wie Buntenbach gemeint, nur daß sich von denen inzwischen nicht mehr viele im Bundestag finden. Sie selber hält sich nicht für unberechenbar, ganz im Gegenteil: Ihren linken politischen Überzeugungen ist die Tochter eines Schuhmachers und einer Verkäuferin über Jahre hinweg ebenso treu geblieben wie jetzt dem grünen Wahlprogramm. „Ich habe im Moment den Eindruck, daß Papiere und Vereinbarungen nichts mehr gelten, weil große Männer den Weg gehen, den sie gehen müssen. Das finde ich ziemlich peinlich.“

In ihren Augen haben sich die Grünen verändert, nicht sie selbst. Ihre Kolleginnen unterscheiden sich inzwischen auch äußerlich von ihr. Dezenter Schick ist zum Markenzeichen der meisten bündnisgrünen Parlamentarierinnen geworden. Annelie Buntenbach trägt Jeans und weite Pullover. So, wie sie sich im Bundestag kleidet, so ist sie auch schon vor zwanzig Jahren auf Demonstrationen gegangen. Das kommt nicht überall gut an: „Natürlich sind eine Menge wohlmeinender Ratschläge auf mich niedergeprasselt: Lieber mehr Jacketts tragen“, erzählt sie. Die Empfehlungen seien durchaus nett gemeint gewesen. „Aber ich habe keine Lust, mich zu verbiegen. Die Sache mit den Rehaugen ist sowieso schon an den 1,83 Meter gescheitert.“

Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Kleiderordnung sind für alle Beteiligten auszuhalten. Anders steht es mit der Erkenntnis, daß sich in der Frage von Krieg und Frieden keine Übereinstimmung mehr herstellen läßt. „Parteipolitisch gibt es für mich zu den Grünen keine Alternative“, sagt Annelie Buntenbach. Kann sie ihre eigene Partei denn noch wählen? Langes Schweigen. „Das Problem der Partei wird nicht sein, ob sie meine Stimme bekommt oder nicht.“

Eine Konsequenz will die Abgeordnete aus dem Votum des Parteitags künftig ziehen. Der Teil ihrer Diäten, den sie bisher der Partei gespendet hat, soll nun „in die Arbeit gegen den Krieg“ investiert werden. Die Haltung hat in ihrer Familie Tradition. Ihr Vater ist gegen die deutsche Wiederbewaffnung auf die Straße gegangen. Ihr Urgroßvater trat aus der SPD aus, als die Sozialdemokraten 1914 der deutschen Regierung die Kriegskredite bewilligten. Damals hatte die Fraktion ihre Entscheidung mit einer Erklärung begründet, in der es hieß: „Wir hoffen, daß die grausame Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem Kriege wecken und sie für das Ideal des Sozialismus und des Völkerfriedens gewinnen wird.“ Hehre Ziele, damals schon.

In diesen Kriegstagen ist Annelie Buntenbach manchmal angeekelt. Trotzdem will sie nicht zur Dissidentin werden

Die Abgeordnete kann sich nicht auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren: „Ich kann den Krieg nicht verdrängen“