Neuanfang in der „glücklichen Siedlung“

■ 62 Angehörige des Kaukasusvolkes der Adygejer kehren wegen des Krieges aus dem Kosovo in ihre Urheimat Südrußland zurück

Moskau (taz) – Im Schatten des Krieges in Jugoslawien schloß sich letztes Wochenende ein Kreis im Leben eines kleinen Volkes. Die letzten Adygejer, 62 Männer, Frauen und Kinder, kehrten am Sonnabend aus dem Kosovo in ihre Urheimat zurück: in die Adygejischen Republik, die mit ihren 125.000 Einwohnern im Süden der Russischen Föderation liegt.

Nahe der Republikhauptstadt Majkop ist für die Umsiedler dort ein Dorf aus Einfamilienhäuschen schon halb fertiggestellt, sein Name bedeutet in ihrer Sprache „glückliche Siedlung“. Dieses Ziel ihrer Hoffnung zeichnet diese Menschen vor den anderen Flüchtlingen aus ihrer Region aus, von denen sie sich sonst mit ihren Bündeln aber nur wenig unterscheiden.

Die Adygejer, im Westen besser als Tscherkessen bekannt, gehören zur Urbevölkerung des Nordwestkaukasus und sprechen eine ebenso uralte Sprache. Im 16. Jahrhundert fiel ihre Heimat unter das Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches und der Krimtataren, unter deren Einfluß sie zu sunnitischen Muslimen wurden. Eine weitere Bekehrung mochten sie nicht mehr mitmachen. Als die russischen Zaren Mitte des 19. Jahrhunderts sich den Kaukasus endgültig unterwarfen, flohen Hunderttausende von ihnen auf den Balkan.

Viele Adygejer wanderten danach aus Jugoslawien weiter in die Türkei und die arabischen Staaten. Nur etwa dreihundert Personen lebten zuletzt in drei Dörfern des Kosovo. Insgesamt repräsentierten sie nur wenige Familien. Anders als ihre Vettern im Kaukasus waren nämlich die jugoslawischen Adygejer ängstlich bemüht, ihre ethnische Besonderheit zu wahren und mieden Mischehen wie die Pest.

Im Endeffekt waren sie alle eng miteinander verwandt. Im Durchschnitt sind sie heute hellhaariger und -häutiger als die Angehörigen ihres Volkes in der alten Heimat und sprechen ein dort archaisch klingendes Idiom. Der größte Teil der Kosovo-Adygejer war schon im Laufe des vorigen Jahres in die russische Föderation umgesiedelt. Jetzt kamen nur noch jene, denen die Abreise noch vor ein paar Monaten besonders schwer fiel, etwa, weil sie sich gerade ein neues Haus gebaut hatten.

Daß sie Fremde in dem Großreich sind, von dem die Republik Adygeja nur einen Teil bildet, und dessen Mentalität auf alle zugehörigen Völker abgefärbt hat, merkten die per Flugzeug aus Bulgarien eintreffenden Umsiedler auf dem Flughafen der Stadt Mineralnye Wody. Der Homo sowjeticus trat ihnen dort in Gestalt diverser Zollbeamter und der Buffetfrau entgegen.

Während die müden Menschen mit ihren hungrigen Kindern das Ende der Prozeduren stundenlang abwarteten, saßen sie im kalten Flughafengebäude, wo sogar das Licht aus Ersparnisgründen abgeschaltet war. „Was wollen Sie!“, erklärte die Buffetdame: „Seit Beginn der Krise gibt es keine Flüge mehr und auch keine Reisenden!“, wobei sie deutlich machte, daß die Repratrianten auf diese Bezeichnung keinen Anspruch erheben dürfen.

Nicht auszuschließen ist, daß die zurückgekehrten Adygejer vom Regen in die Traufe geraten könnten. Auch sie gehören zu einem willkürlich geteilten Volk. Dessen andere Hälfte, 52.000 Menschen, leben unter dem Namen „Tscherkessen“ in der benachbarten Republik Karatschajewo-Tscherkessien. Dort kam es gerade letzte Woche zum ersten Mal zu einem offenen Nationalitätenkonflikt zwischen ihnen und den Karatschaiern, mit denen sie weder ethnisch noch sprachlich verwandt sind.

In Jugoslawien waren die Adygejer selbst nicht Teil des Problems, vor dem sie flohen. Sie kamen mit Albanern und Serben gleichmaßen gut aus und wurden von den serbischen Milizen verschont. Über ihre Abreise aus dem Kosovo erzählen alle dasselbe: „Die Schlüssel unseres Hauses, unsere wertvolleren Haushaltsgeräte und die Tiere haben wir unseren serbischen Nachbarn übergeben. Und die haben geweint.“ Barbara Kerneck