„Die Haftsituation ist nicht mehr haltbar“

■ Nachdem die Gesamtinsassenvertretung der Justizvollzugsanstalt Tegel gegenüber dem Petitionsausschuß unhaltbare Zustände beklagte, folgte gestern ein Besuch der Anstalt

Die Gesamtinsassenvertretung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel macht Rabatz: In einem Brief an den Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses beklagt sie unhaltbare Zustände infolge der Überbelegung mit knapp 300 Gefangenen. Behandlungspläne für Inhaftierte können kaum noch erstellt werden, Möglichkeiten, die Überbelegung zu mindern, werden außer acht gelassen, Fernsehräume werden mit Betten voll gestellt, so daß die Insassen auf dem Flur in die Röhre gucken müssen. „Daraus entsteht eine Haftsituation und ein Anstaltsklima, das nicht mehr tragbar ist“, heißt es weiter. Außerdem wird davor gewarnt, daß die kulturellen Unterschiede zwischen den verschiedenen Nationalitäten zu einer „Subkultur“ mit „Gewalt und Terror“ führe. Erpressungen und Gewalt seien an der Tagesordnung.

Diese Situation fand Dietmar Volk von den Grünen, zuständig im Petitionsausschuß für Haftanstalten, bestätigt, als er gestern die JVA Tegel besuchte. „Es gibt eine Subkultur“, so sein Eindruck. „Das ist keine Stimmungsmache“. Verletzungen, blaue Augen und Armbrüche seien an der Tagesordnung. Es sei wie „ein Pulverfaß“ in dieser Situation, daß nur vier Mitarbeiter des sozialpsychologischen Dienstes für derzeit etwa 1.700 Gefangene zuständig sind. Deshalb müsse dieses Personal umgehend aufgestockt werden. Anstaltsleiter Klaus Lange-Lehngut bestätigte gegenüber dem Petitionsausschuß, daß die Überbelegung zu „Einschränkungen in der Betreuungsarbeit“ führt.

Dietmar Volk, der demnächst in einem offenen Brief an Justizsenator Erhart Körting (SPD) auf die Mißstände aufmerksam machen will, kritisiert „fehlendes Management und Kreativität“ in Tegel. Seiner Meinung nach müßte es möglich sein, einige Mißstände umgehend zumindest zu mildern. So könnten die etwa 70 Gefangenen, die für den offenen Vollzug geeignet sind, diesen jedoch wegen fehlender Kapazitäten nicht antreten können, in Containern im hinteren Gelände der JVA untergebracht werden. Auch das Problem der fehlenden Beschäftigung könnte zumindest etwas entschärft werden, indem Aufträge von außen akquiriert würden. Volk, der behindertenpolitischer Sprecher der Grünen ist, kann sich beispielsweise die Produktion von Rampen vorstellen, die öffentliche Gebäude brauchen, um behindertengerecht zu sein. Ganz zu schweigen von Kleinigkeiten wie fehlenden Kellen zum Tischtennisspielen, die von Firmen oder Vereinen gesponsert werden könnten. „Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen“, so Volk. B. Bollwahn de Paez Casanova