■ Kosovo-Krieg: Feuerpause und der Einsatz von Bodentruppen sind kein Widerspruch. Allerdings ist er völkerrechtlich abzusichern
: Milosevic unter Zugzwang setzen

Die Nato-Strategie der eskalierenden Luftschläge gegen Jugoslawien litt von Beginn an unter einem mehrfachen Dilemma:

Das Ziel der Nato, den Krieg Miloevics gegen die Kosovaren zu beenden sowie deren Vertreibung zu verhindern, konnte mit den bislang eingesetzten Mitteln nicht realisiert werden. Die Luftangriffe fordern zunehmend Opfer unter der Zivilbevölkerung und zerstören zivile Einrichtungen. Sie sind darüber hinaus nur begrenzt in der Lage, das Militärpotential des Gegners zu zerstören. Und die Macht Slobodan Miloevics verfestigt sich, je länger und unspezifischer die Nato bombardiert.

Für den Einsatz fehlt ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Das macht ihn nicht nur völkerrechtlich fragwürdig, sondern es versperrt auch eine Handlungsebene, die nun in mühsamen Schritten gemeinsam mit Rußland wieder geschaffen werden muß. Das fehlende völkerrechtliche Mandat für den Einsatz wurde kompensiert durch die Betonung der schweren Menschenrechtsverletzungen des Miloevic-Regimes. Dies geschah um so stärker, je intensiver die damit zu legitimierenden Luftangriffe wurden. Wenn Miloevic aber ein Faschist und Völkermörder ist, so ist kaum zu begründen, weshalb mit ihm noch verhandelt werden kann. Einleuchtender wäre, daß er hinter Gitter gehört. Die politisch-rhetorische Eskalation wirft also implizit die Frage nach der Ausweitung des Kriegziels auf.

Die Nato-Partner haben sich von Beginn an auf die Luftwaffe als einziges Kriegsmittel festgelegt. Dies allerdings weniger aus militärstrategischen Gründen, sondern aus machtpolitischen und innergesellschaftlichen Überlegungen heraus. Zum einen barg der Einsatz von Bodentruppen das unkalkulierbare Risiko einer russischen Intervention. Zum anderen spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung in einer Reihe von Nato-Staaten gegen einen solchen Einsatz aus.

Auf dieses Dilemma wurde mit der Vereinbarung der G-8-Staaten eine erste Antwort gefunden. Es ist damit zwar nicht aufgehoben, aber seitdem existiert wieder eine Grundlage für eine Politik, in die die militärische Frontstellung Belgrad-Brüssel eingebettet ist: Miloevic als Verhandlungspartner, Rußland als Vermittler und ein UN-Mandat. Damit ist der Rahmen abgesteckt, in dem eine Lösung gefunden werden kann. Aber dieser Findungsprozeß steht unter einem enormen Zeitdruck. Denn spätestens Anfang September muß für die Hunderttausenden Flüchtlinge eine Perspektive auf Rückkehr in die Heimat existieren. Die Erfahrungen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien lehren, daß bis zum Herbst eine Rückkehr ermöglicht werden muß – oder sie wird auf unabsehbare Zeit nicht mehr stattfinden.

Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach Ergänzung der Luftangriffe durch einen Einsatz von Bodentruppen zu bewerten, wie sie vor allem von britischer Seite erhoben wird. Er müßte, soll er noch bis zum Herbst zu einem Erfolg führen, demnächst vorbereitet werden. Allerdings bleibt bei den Forderungen des britischen Premierministers Tony Blair und seines Außenministers Robin Cook unklar, welchem politischen Zweck eine solche Eskalation dienen soll. Sie birgt somit das Risiko einer kaum kalkulierbaren Eigendynamik.

Von der gleichen politischen Ziellosigkeit ist die Forderung nach einer sofortigen und einseitigen Einstellung der Angriffe. Der Wunsch nach einem Ausstieg aus der militärischen Logik zugunsten einer Verhandlungslogik entspringt einer Dichotomie von Gut und Böse, wie sie sich angesichts des Konfliktes im Kosovo nicht mehr aufrecht erhalten läßt. Sollte sie dennoch eine politische Option sein, wäre nicht nur der Nutzen zu wägen, der neben dem humanitären Aspekt im Eingehen auf die russische Position läge. Eine Feuerpause birgt das Risiko, die fragile Machtbalance zu verlängern und nichts Substantielles an der Situation im Kosovo zu ändern. Unklar bliebe, wer woran gegebenenfalls ein Scheitern der Verhandlungen feststellen würde. Noch unklarer wäre, was dann daraus folgen sollte. Die Zeit würde für Miloevic laufen, denn der Diktator ist bekanntlich ein Meister im Verzögern von Verhandlungen. Die Befürworter einer einseitigen Feuerpause, wie sie vor allem bei den deutschen Grünen zu finden sind, haben auf dieses Dilemma noch keine zufriedenstellende Antwort gegeben.

Der italienische Ministerpräsident Massimo D'Alema hat mit seinem Vorschlag die Begrenztheit der beiden Ansätze überwunden, indem er sie miteinander sinnvoll verknüpft hat. Er hat die russische und die britisch-amerikanische Position, den Stopp der Bombardements und den Einsatz von Bodentruppen, zu einer Konditionalklausel verknüpft, in der Miloevic die Rolle der Variablen zugedacht ist.

Natürlich ist D'Alema innenpolitisch unter Druck, doch ist der Vorschlag des Kommunisten damit keineswegs bereits diskreditiert. Er gibt die Initiative an Belgrad zurück, ohne ein nennenswertes militärisches Risiko einzugehen. Denn eine mögliche Reorganisation der serbischen Armee bei einer Unterbrechung der Luftangriffe hält sich in kalkulierbaren Grenzen. Würde Miloevic die Vorgaben der G 8 nicht umsetzen, so könnte die russische Regierung nur noch schwer begründen, weshalb sie die Umsetzung an die Zustimmung Belgrads koppelt. Die von D'Alema ins Auge gefaßten Bodentruppen sind andere als jene, an die die britische Regierung denkt. Sie sind eine Einsatzvariante, auf die sich eine nach Kapitel VII der UN-Charta mandatierte Friedenstruppe einzustellen hätte. Es wäre ein äußerst robuster Einsatz, welcher die Rückkehr der Flüchtlinge erzwingen würde. In einer solchen militärischen Auseinandersetzung würde sich auch herausstellen, welchen Grad der Unabhängigkeit das Kosovo auf absehbare Zeit haben wird.

Es läge folglich auch in Miloevics Händen, das Seine für einen Verbleib des Kosovo im jugoslawischen Staatsverband beizutragen. D'Alemas Initiative, und darin liegt ihre größte Stärke, würde die Auseinandersetzung um Krieg und Verhandeln wieder in die serbische Gesellschaft tragen. Denn daß die Zukunft ihres Landes auch vom Verhalten ihres Regenten abhängt, ist eine entscheidende Erkenntnis, die der serbischen Gesellschaft wieder Handlungsoptionen eröffnen könnte. Die ersten Wochen der Luftschläge haben Volk und Diktator buchstäblich zusammengebombt. Es war einer der größten Mängel der Nato-Luftschläge, daß sie keine Differenzierungen gemacht haben, daß sie nicht in jedem Einsatzziel und –mittel plausibel gewesen sind.

Die Risse, die sich nun innerhalb der serbischen Armee zeigen, die Opposition, die sich in der Bevölkerung regt, können nicht allein militärisch, sie müssen politisch befördert werden. Die Zukunft des Landes muß wieder als gestaltbar begriffen werden, an die Seite des Drucks muß das Angebot treten.

Das Angebot der baldigen Hilfe beim Wiederaufbau und der perspektivischen Integration in die Europäische Gemeinschaft. Umgekehrt muß der Druck sich stärker auf Miloevic fokussieren. Diese Differenzierung der Nato-Strategie hätte auch Rückwirkungen auf die Haltung Rußlands, das sich zwar traditionell Serbien, aber nicht im gleichen Maße dessen Diktator verbunden fühlt. Bereits die bekundete Absicht, Bodentruppen auch gegen seinen Willen zu entsenden, könnte ein Drohpotential sein, das Miloevic zum Einlenken bewegt.

Ein solcher Einsatz wäre die Ultima ratio, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Wenn es dabei ein Ziel ist, den Diktator zu isolieren, so wäre es allerdings kontraproduktiv, wenn sich deutsche Kampftruppen, die zwangsläufig historische Assoziationen weckten, an einem solchen Einsatz beteiligen würden, der die Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht.

Die anvisierte Aufstockung der Friedenstruppe auf 45.000 Soldaten deutet darauf hin, daß mittlerweile von einem robusteren Einsatz ausgegangen wird, als bislang glauben gemacht wurde. Noch lehnt die Bundesregierung Bodentruppen kategorisch ab, statt alles dafür zu tun, daß ihr Einsatz auf einer völkerrechtlich einwandfreien Grundlage steht.

Die deutsche Haltung weckt den Verdacht der bekannten Arbeitsteilung, bei der den Briten und den USA das Heft des militärischen Handelns überlassen wird, dieweil die Bündnispartner mit Bauchgrimmen hoffen, daß das Ziel des Einsatzes um so schneller erreicht wird, als der innenpolitische Druck wächst. Dieter Rulff

Rußland fühlt sich Serbien, aber nicht im gleichen Maß dem Diktator verbunden

Die Nato muß jedes ihrer Einsatzziele und Einsatzmittel plausibel machen