Tote Ratten

■ Dunkel wie mutig: Ingvar Ambjörnsens neuer Erzählband „Schwarze Mutter“

Eine gute Geschichte trägt stets das Gewicht der zu erzählenden Welt. Eine gute Geschichte enthält auf engstem Raum die wesentlichen Ingredienzen aus sich aufdrängender Wahrnehmung, manifestem Deutungswunsch und umgestalteter Wirklichkeit; mit wenigen Worten viel, wenn nicht alles zu sagen. An diese Momente knüpft Schwarze Mutter des Wahlhamburgers Ingvar Ambjörnsen an, sein zweiter Erzählband nach Der Mann im Schrank.

Von der Sprache her weniger flapsig diesmal, von der Kulisse weniger städtisch, von der Grundhaltung weniger dem Skurrilem verpflichtet. Statt dessen elf dunkle Geschichten, atmosphärisch unterlegt mit einer ganz eigenartigen Ruhe und einer mitunter distanzierten Kaltblütigkeit; formal ein Wechselbad aus filigranen Miniaturen und kompakten Stories. Doch Ambjörnsen beläßt es beim Skizzenhaften – einem Theatermagier ähnlich, der im Halbdunklen kurz vor die leere Bühne tritt und mit den Händen in der Luft das Setting einer beginnenden Tragödie zeichnet. Ein karges Zimmer, ein abgewetzter Sessel, eine Lederjacke ohne Inhalt. Ein fast leerer Frühstückssaal, ein zerteiltes Spiegelei, ungenießbarer Kaffee, fettglänzende Pferdeschwänze im überfüllten Lokal. All das getragen von dem Mut des Autors, sich ganz beiläufig an das heranzutrauen, das man so oft – ironisch bis ehrfürchtig – „die großen Themen“ nennt: Tod, Einsamkeit, Trauer, Leere. Ein Junge, der im Schwimmbad zugegen ist, als ein Gleichaltriger leblos aus dem Wasser gezogen wird. Ein Mann aus einem Doppelzimmer mit Seeblick, der im Regen spazierengeht und eine tote Ratte findet. Ein Paar, das sich in einem Museum über zwei guterhaltene, 4000 Jahre alten Totenschädel beugt.

Was danach passiert, was bleibt, wirft uns zurück in eigene Erfahrungswelten unangenehmer Art. Und genau hier läßt Ambjörnsen nicht locker. Triezt uns, quält uns; auf daß seine Schilderungen von erduldeten Kränkungen, überwunden geglaubten Niederlagen und imaginierten Gewaltausbrüchen noch nachwirken, wenn der letzte Satz längst gelesen ist. Und es fröstelt einen. Und es wird einem kurz warm, bevor die Kälte sich erneut breitmacht.

Frank Keil

Ingvar Ambjörnsen: „Schwarze Mutter“, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Eiswasser Verlag, Vechta, 161 Seiten, 29,80 DM