Suhlen im Tabu

■ Die Städtische Galerie im Buntentor zeigt naturalistische Landschaften und Akte der Essenerin Natalie Thomkins

Wahrscheinlich ist Natalie Thomkins der Welt allerletzte Freilichtmalerin. Vielleicht ist sie aber auch die erste, quasi als Vorreiterin eines neuen Realismus. Sie selbst jedenfalls findet ihre klassischen Genrestücke – Akte, Landschaften, Stil-leben, all das was Generationen von Kunststudenten über sich ergehen lassen mußten – nicht die Spur anachronistisch. Zeitgeistig allerdings auch nicht. „Ich suche Kunst, die außerhalb ihrer Zeit Bestand hat, so wie Tizian oder Velazques.“ Gar nicht einmal ungerne erinnert sie sich an jenen Kunstprof, damals, vor fünfzehn Jahren, an der Kuhnsthochschule in der Berlin, der manisch dem Wörtchen „Innovation“ verfallen war – und alles andere übersah.

Spätestens da entdeckte Thomkins ihren Widerwillen gegenüber der Pflicht zum Neuen. Aber auch ihre Eltern (“... ich bin eben aus dieser Familie ...“), beides Künstler, lehrten sie die Freiheit gegenüber herrkömmlichen Klassifizierungen. Mit dazu bei trugen die Gäste des Hauses, interessanterweise gerade „innovative“ Künstler wie George Brecht oder Daniel Spoerri. So begriff sie schon als Teenager, daß man selbst ein schwülstiges Odilon Redon-Stilleben vergöttern kann. Und vielleicht wird ihr Protest gegenüber einer zwanghaften Innovation irgendwann einmal als höhere Form der Innovation erkannt.

Noch aber muß sie ständig Vergleiche mit Sonntagsmalern und ihren wonniglichen Sujets über sich ergehen lassen. Locker wie eine durchtrainierte Volleyballspielerin kontert sie den scharfen Ball ins gegnerische Feld zurück. „Na und. Ich male auch gerne sonntags.“ Batsch, gut geschmettert. Richtig sauer – und auch traurig – wird sie aber, wenn man ihre Naturbilder mit Postkarten vergleicht. Ja richtig, auch bei ihr strahlt ein blauer Himmel glücklich verbummelte Kühe an, und reiselustige Wolken spiegeln sich im Gebirgssee. Aber: Natur ist eben so. Und wer nur Reisekatalogsidyll darin sieht ist selber schuld und ein Stück weit verdorben. „Landschaft läßt sich nicht erledigen. Dennoch ist sie das absolute Tabu – und darin suhle ich mich“. Aber warum haben Autobahnzubringer, überquellender Mülleimer und Windgeneratoren hier keine Existenzberechtigung? Und warum bedient sie sich einer Ästhetik (Perspektive, Farben ...), die sich von Reisemagazinen oft nur marginal unterscheidet?

Alle denjenigen, die ihre Arbeiten lieb und harmlos finden, entgegnet sie: „Aneignung von Wirklichkeit bedeutet Kampf.“ Vor allem muß man dazu erstmal Malen können. „Und das lernt man an keiner Hochschule. Das hat mich die Landschaft gelehrt.“

Der Amerikaner David Salle erzielte mal sechstellige Preise für Riesenbilder, die ebenfalls romantische Standardtableaus (Blumenstilleben, Schiff auf hoher See) zitierten, allerdings in Trödelladenqualität. Die kombinierte er mit Pop-Art-Diesseitigkeiten (60er-Jahre Interieur) und schwülen Akten. Alle Welt fuhr ab auf den süffigen Realismus. Schließlich konnte man sich einreden, hier würden sich unsere archetypischen Seelenbilder gegenseitig hinterfragen und brechen. Thomkins dagegen zeigt Busch, Baum, Berg liebend-euphemistisch, gebrochen allenfalls durch ein paar lästerliche Titel – und erntet damit nur selten Anerkennung. Vielleicht sind ihre Arbeiten unreflektierter und weniger komplex als diejenigen Salles, vielleicht aber auch einfach mutiger. Es gibt noch Tabus. Und Museumschef Manske freut sich wie ein König, von allzu stilsicheren Kollegen und Journalisten milde belächelt zu werden. bk

Bis 20. Juni