Schnitzeljagd in Franken  ■  Von Michael Rudolf

Seit dreißig Jahren treffen wir uns einmal jährlich in Aufseß, einem Ort der inneren Sammlung und Einkehr mitten in der Fränkischen Schweiz. Idealtypisch für die heiße Endredaktionsphase eines Schnitzelführers („Schnitzel. Der Guide für Kenner und Genießer“), den wir geschrieben hatten.

Eifrig versuchten wir die Testergebnisse abzugleichen. Der bekannte Schnitzelethnologe Roth und ich fuhren über Land und aßen alle Schnitzel, die hineinpassen wollten. Verbrannte, gebackene, fritierte, gekochte, halbgare, gefüllte. Schälbraten, Schulter, Kamm- und Formfleisch, sogar Puten- und Hühnchenschnitzel. Und eine Einladung nach Herrn Henscheids neuem Garten in der Oberpfalz schlugen wir nur deshalb nicht aus, weil wir mit lecker Schnitzel gelockt wurden.

Der Abschlußabend dräute, und wie jedesmal fürchteten wir uns schon vor den schlimmen Verbrüderungsszenen. Den Tag über aber taten wir zunächst so, als wäre nix. Schnitzelarchäologe Roth, ein Pegelesser reinsten Wassers, hatte bereits am frühen Morgen zwei Fässer Schroll-Bräu ausgetrunken und verlangte ungeduldig nach drastischer Hebung seines Cholesterinpegels. Gegen Mittag nahm der Faßbierverbrauch bedrohliche Ausmaße an – denn die Schnitzel müssen schwimmen. Roth wurde nachdenklich: „Ich vertrag' auch nichts mehr. Kasten Bier, Flasche Schnaps – fall' ich um.“ Und richtig: Das Wohlbefinden meines Begleiters war wie weggeblasen. Punkt 18 Uhr verkündete die letzte Bastion seines Überlebenswillens matt, sie kapituliere nun, vulgo: Herr Roth wollte sterben. Auf der StelIe. Ich protestierte einigermaßen energisch und verurteilte sein Ansinnen in mittelscharfer Form. Auf haargenau der gleichen Stelle beschloß ich, ihm einige Hektoliter siedenden Bohnenkaffees einzuflößen, damit ich ihn nicht etwa noch zum Automobil tragen müßte. Dumm war allein, daß der Schnitzeltopograph gleichzeitig die Phase seiner Fahrtauglichkeit als abgeschlossen betrachtete, denn eigentlich hätte noch das Schweineschnitzelschlachthaus der Meisterbräu Unterzaunsbach abgehakt werden müssen. Daraus wurde nichts. Egal. Er einigte sich mit einem imaginären Zuhörer auf den Kompromiß: „Rudolf, du fährst.“ Toll. Niemals in meinem von Ungeheuerlichkeiten so prall überschatteten Dasein habe ich einem Pkw steuernd zugesetzt. Aber da Herr Roth auf absehbare Zeit tot war, gab ich nach, instinktiv suchte ich die Pedale und schaltete die Handbremse auf.

Der Rest ergab sich auf wundersame Weise von selbst. So rollten wir fein bergab und im Schrittempo gen Unterkunft, geleitet von einer beruhigenden Flammenschrift am Firmament. Wir waren eben mit einem Affenzahn auf der Zielgeraden – und wir können von Glück reden, daß es eine Gerade war – zum Parkplatz hinabgejagt, als meine Wiederbelebungsversuche endlich Wirkung zeigten.

Schnitzelendoskopologe Roth öffnete sogar die Augen, verlangte unverzüglich auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen und begann zielstrebig, nach heftiger Kassettenmusik zu suchen.

Später wurde manches Faß Landbier ausgetrunken, und irgendwann sind wir irgendwo beseelt und irgendwie auch erleichtert, mit einem dicken Batzen kalten Schnitzels im Mund, eingeschlummert.