Über allem liegt Furcht vor dem Dopingskandal

■ Radsportverband und Sat.1 wollen mit der Deutschland-Tour vom Ullrich-Boom profitieren

Berlin (taz) – Ein einziges Wort sagt vielleicht mehr aus über das Radsportgeschehen als viele schlaue Analysen. Noch im Sommer 1998 begründete Warsteiner sein Sponsorenengagement beim Hamburger Weltcup-Rennen „HEW Cyclassics“ mit dem „überaus sauberen Image“ des Velo-Treibens – jetzt hat der Bierbrauer für die PR doch lieber ein vieldeutigeres „dynamisch“ daraus gemacht.

Die gewiß nicht saubere Dynamik einer verfahrenen Dopingdebatte hat längst groteske Züge angenommen, gerade wieder beim noch laufenden Giro d'Italia: der Rad-Weltverband UCI, der das gesamte Starterfeld erstmals vor einer Länderrundfahrt komplett zur Ader gelassen (und danach zwei Fahrer ausgeschlossen) hatte, untersagte dem Nationalen Olympischen Komitee Italiens zusätzliche Kontrollen; zuvor hatten genervte Fahrer mit Streik gedroht, wie bei der letzten Tour de France.

Überhaupt, so Luis Felipe Sainz, sei Doping ja nur „ein französisches Problem“. Der Chef der Spanien-Rundfahrt verteidigt unverhohlen die heimischen Teams Banesto und Once, die ihr Nachbarland seit der letzten Tour meiden. Jetzt soll eine Positivliste mit erlaubten Medikamenten die Spanier doch noch auf die große Schleife bringen. Schöne Aussichten für die EU-Sportminister, die Anfang Juni mit Häuptling Otto Schily europaweit verbindliche Anti-Doping-Gesetze auf den Weg bringen wollen.

In diese absurde Situation hinein soll nun die Reetablierung der Deutschland-Tour nach 17jähriger Pause gelingen, aus Vermarktersicht die logische Konsequenz aus dem Jan-Ullrich-Boom. Mit einer täglichen Liveübertragung von 16 bis 18 Uhr will sich Sat.1 auch als Radsportsender profilieren. Lange bevor Rupert Murdoch mit seinem tm3-Champions-League-Coup die hiesigen Fußballhegemonien ins Wanken brachte, war dort die Entscheidung für ein „längerfristiges Engagement“ gefallen, ein Prädikat, das in der Sat.1-Pressestelle schon für den gerade mal zweijährigen Erstverwertervertrag taugt. Ob das reicht, um die wiedergeborene Tour vor der Haustür „erst mal ins Bewußtsein der Leute“ und dann auf propere Quoten zu rücken?

Ein „innovatives Übertragungskonzept“ soll helfen. Anders als die ARD – bei der Tour auf französische Originalsignale angewiesen –, hat Sat.1 ein aufwendig produziertes Heimspiel. Spektakulärstes Detail ist die Winzkamera unter dem Sattel von Telekom-Profi Udo Bölts. Bruder Hartmut sitzt daneben als Co-Kommentator auf einem Begleitmotorrad, um knackige Peloton-Analysen zu liefern.

Doping? Sie werden kaum drumrum kommen, selbst wenn der UCI-Kommissär keine Sünder auf frischer Tat ertappen kann. Für Sat.1 ist der Spagat zwischen Produktpräsentation und kritischer Berichterstattung natürlich kein Problem. Sagt jedenfalls PR-Frau Brigitte Schmidt, denn „wir sind Journalisten. Und wenn diese Thematik, hoffentlich nicht, während der Tour auftaucht, dann werden wir uns ihrer natürlich objektiv annehmen.“

Die 1.265 Kilometer lange Rundfahrt von Berlin nach Bonn, die dort am kommenden Donnerstag endet, wurde von der UCI nur in die zweitniedrigste Wertungsklasse eingestuft und gilt vielen Profis als ideale Einstimmung auf die Tour de France im Juli. Die einzige „Bergetappe“ von Eisleben nach Goslar wird morgen selbst Sprintkönig Erik Zabel nicht entscheidend zurückwerfen. Beim Zeitfahren zwischen Viernheim und Bensheim am 2. Juni muß dann Jan Ullrich seinen schwierigen Spagat vollenden. Vor heimischen Fans kann er kaum so lässig mitrollen, wie er das sonst selbst um diese Jahreszeit noch gerne tut. Dabei darf aber die Vorbereitung auf das Saisonziel Tour de France nicht gefährdet werden.

Die Telekom-Renner müssen vor allem die in der Weltrangliste führende Mapei-Mannschaft fürchten, die u.a. mit Sprint-As Tom Steels, Weltcup-Gewinner Michele Bartoli und vor allem dem Rundfahrt-Spezialisten Pawel Tonkow (Giro-Sieger 1996) nicht nur die zweite Garde in das Rennen entsendet, bei dem auf vier der acht Etappen auch knapp hundert „Jedermänner“ starten dürfen.

Bei den Etappenankünften der Profis werden diverse Fußballer ihre Aufwartung machen – als Gegenleistung für die Unterstützung der WM-Bewerbung 2006 durch den Bund Deutscher Radfahrer. Zyniker spotten, da hätten sich ja die Richtigen gefunden: Die UCI und die Fifa sind immerhin die einzigen olympischen Weltverbände, die sich bisher einer harten Anti-Doping-Linie mit zweijähriger Mindestsperre verweigern. Jörg Feyer