Drei Minuten bis zur Ewigkeit

Keiner der Bayern mag es nach dem 1:2 gegen Manchester zugeben, doch klar ist: Der zweite Platz in einem Europacup-Finale bedeutet einen Dreck  ■ Aus
Barcelona Albert Hefele

Wenn jemand ein Drehbuch über das Finale der Champions League geschrieben und dann einem Büro in Hollywood vorgelegt hätte, wären die Profis dort wohl aus dem Stirnrunzeln nicht herausgekommen: „Nicht etwas zu dramatisch das Ganze? Großes Finale und von den Stars nicht viel zu sehen, und dann zieht der so überaus knorrige und oft schweigsame, aber ebenso erfahrene und gerissene schottische Trainer zwei Asse aus dem Ärmel: Sheringham und Solskjaer. Diese beiden Figuren – nach einer für sie nicht sonderlich erfolgreich verlaufenen Saison eingewechselt, als das Spiel mehr oder weniger verloren ist. Und dann: die zwei entscheidenden Tore. In der Nachspielzeit! Ich bitte Sie! Und davor – all diese Pfostenschüsse! Das nimmt uns doch beim besten Willen keiner mehr ab.“ Aber der Drehbuchschreiber hätte behauptet, es basiere alles auf einer wahren Begebenheit und „so sei eben Fußball“.

Ist Fußball wirklich so? Wenn man heute Carsten Jancker befragte, würde er seinen Sport nach den Erfahrungen des Mittwochs sicher anders beschreiben: Fußball ist widerwärtig, brutal, widersinnig und ungerecht. Vor allem ungerecht. Alle Arbeit, alle Leidenschaft, alles Engagement einer Saison und eines Spieles umsonst, wegen zweier blöder, überflüssiger Eckbälle. Was bleibt einem da anderes übrig, als heulend auf dem Rasen zu kauern? Ist Fußball so?

Oder hat Alex Ferguson recht, der während der Pressekonferenz nach dem Spiel die launige Behauptung aufstellte: „Football is a funny game.“ Wobei er leicht lachen konnte. Aber sonst? Lustig? Für wen? Für Kahn und Matthäus und Kuffour sicher nicht. Für Yorke und Schmeichel und Beckham vielleicht; aber auch nur ab der 90. Minute.

Vorher war ihnen das Lachen gründlich vergangen. Sie standen – trotz Meisterschaft und Cup – vor den Scherben einer ansonsten großartigen Saison. Nichts mit dem Triple, nichts mit dem letzten großen Triumph. „Na und?“ könnte man als besonnener Beobachter einwerfen, „Was soll's?“ Zwei von drei möglichen Titeln sind schließlich auch alle Ehren wert. Und: Manchester United wäre auch ohne den Sieg in der Champions League eine perfekt funktionierende Vermarktungsgesellschaft geblieben. Eine gar nicht so kleine, wie geschmiert laufende Fußballfabrik, die mehr als genug Kohle abwirft. Mit tollen Spielern, für die Geld schon lange keine Rolle mehr spielt. Hätten mit Leichtigkeit auf die Siegprämie verzichten und, lässig ihre „Zweite-Sieger-Medaillen“ schlenkernd, in den karibischen Urlaub fliegen können.

Warum mußte dann Beckham noch zehn Minuten vor Schluß völlig gefrustet den alten Lothar Matthäus umtreten? Warum säbelte der großartige Techniker Yorke in der 89. Minute vor Nervosität vibrierend über einen Ball, den er an anderen Tagen mit geschlossenen Augen versenkt hätte?

Weil es den groß gewordenen Buben auf dem Platz bei allem Merchandising- und Company-Gehabe immer noch um etwas anderes geht. Mario Basler hat es ausnahmsweise auf den Punkt gebracht: „Es wären noch drei Minuten bis zur Ewigkeit gewesen.“ Das ist vielleicht ein bißchen viel Sergio Leone und Showdown um die Mittagszeit, aber er meint das Richtige. Es geht um den Traum, den sie alle haben. Den Traum, sich in den Büchern wiederzufinden und in den Filmen wiederzusehen, in denen der Mythos von großen Finals und großen Spielen gestrickt wird. In einem Atemzug genannt zu werden mit di Stefano und Kopa, mit Eusebio und Bekkenbauer. Dem Franz Beckenbauer, der mittlerweile nicht müde wird zu betonen, daß der Erfolg nicht so wichtig sei und der Spaß am guten Spiel oberstes Gebot. Sei es Koketterie, sei es ein sachte sich anschleichender Alzheimer: Gerade Beckenbauer müßte es besser wissen. Er, dessen Aufstieg und Inthronisation zur Lichtgestalt im deutschen und internationalen Sport und in der gesellschaftlichen Oberliga keinen anderen Hintergrund hat als seine Rolle und seine Erfolge in den großen Finals. Oder glaubt irgend jemand, Sepp Blatter würde sich um den Manschaftskapitän des Verlierers des 74er WM-Spieles bemühen? Würde sich irgendwer um die Meinung eines gelernten Versicherungskaufmannes scheren? Ohne die großen Finals, mit einer Winzigkeit mehr Pech in den entscheidenden Momenten, wäre Franz Bekkenbauer ein wohlhabender, aber nur mäßig beachteter, leicht übergewichtiger Exfußballer, den man alle vier Jahre zur Weltmeisterschaftszeit ins „Aktuelle Sportstudio“ einladen würde.

Der Schritt von der Legende zum in einerWoche vergessenen Spieler ist winzig. Carsten Jancker zum Beispiel hätte sich mit seinem Fallrückzieher unsterblich machen können, aber er hat den Fuß nicht in die Tür zur Unsterblichkeit gekriegt. Das wußte auch Samuel Kuffour, und darum ist er nach dem Spiel untröstlich und wie ein in Minuten um Jahre gealterter Mann auf das Podest geschlichen. Ihm wurde in diesen Minuten zweierlei klar: Eine solche Chance haben die meisten Spieler nur einmal im Leben. Und: Der zweite Platz in einem Finale bedeutet einen Dreck.

Bayern München: Kahn – Linke, Matthäus (80. Fink), Kuffour – Babbel, Jeremies, Effenberg, Tarnat – Basler (89. Salihamidzic), Jankker, Zickler (71. Scholl) Manchester United: Schmeichel – G. Neville, Johnsen, Stam, Irwin – Giggs, Beckham, Butt, Blomqvist (67. Sheringham) – Yorke, Cole (81. Solskjaer) Zuschauer: 90.000; Tore: 1:0 Basler (6.), 1:1 Sheringham (90.), 1:2 Solskjaer (90.)