Luftkrieg über Kaschmir

Pakistan will zwei indische Flugzeuge abgeschossen haben, Indien räumt Verluste ein, spricht aber von Absturz. Noch geben sich beide konziliant  ■   Aus Delhi Bernard Imhasly

Bei einem Kampfeinsatz der indischen Luftwaffe im Norden von Kaschmir sind gestern morgen zwei Flugzeuge abgestürzt, davon eines, als es von einer pakistanischen Rakete getroffen wurde. Der zweite Absturz soll indischen Angaben zufolge das Resultat eines technischen Defekts gewesen sein, nach pakistanischen Angaben soll es sich ebenfalls um einen Abschuß handeln. Danach sei ein Pilot, der sich mit dem Schleudersitz gerettet habe, gefangengenommen worden. Der andere Pilot sei noch nicht gefunden worden.

Ein indischer Militärsprecher sagte gestern in Delhi, bei einer Mission eines Flugverbands habe eine MiG-21 wegen eines technischen Defekts an Höhe verloren. Das andere Flugzeug, eine MiG-27, habe es begleitet und sei damit in den Schußbereich pakistanischer Raketen gekommen. Beide Flugzeuge hätten strikte Anweisung gehabt, die Grenzlinie nicht zu überschreiten, so der Vertreter der Luftwaffe. Er wollte aber nicht ausschließen, daß eines der beiden Flugzeuge den pakistanischen Luftraum verletzt haben könnte, falls es nicht mehr steuerungsfähig war. Pakistan sprach von einer Verletzung seines Luftraums und bezeichnete die von ihm gemeldeten Abschüsse als „.Notwehr“.

Damit eskaliert der Konflikt weiter. Zwar weisen beide Seiten die Gefahr eines Krieges von sich, doch wird es für Indien, wie der gestrige Vorfall zeigt, immer schwieriger, seine Luftaktion strikt auf die rund 700 „Eindringlinge“ aus Pakistan zu begrenzen, die seit einigen Wochen indisches Territorium besetzt halten. Dies liegt einmal daran, daß die Kampfeinsätze der Jets über einem zerklüfteten Terrain, auf großer Höhe und in unmittelbarer Nähe einer Grenzlinie stattfinden, an der sich zwei der weltgrößten Armeen gegenüberstehen. Zudem ist Pakistan zweifellos nicht nur ein neutraler Zuschauer, wenn „kaschmirische Mudschaheddin“ die Grenze überschreiten, sondern ein aktiver Teilnehmer.

Die Kontrollinie ist auf beiden Seiten mit Wachposten gespickt, und für eine Hochgebirgsoperation im Innern des gegnerischen Territoriums bedarf es einer ausgefeilten Logistik von Ausrüstung und Nachschub, die ohne Unterstützung der Armee nicht denkbar sind. Der indische Armeesprecher ging bei seinem gestrigen Briefing noch weiter und behauptete, bei den Eindringlingen, die sich auf mehreren Höhenzügen festgesetzt hätten, handele es sich um reguläre pakistanische Truppen in Zivilkleidung. Es gebe verläßliche Berichte, wonach im Norden Pakistans weitere 2.400 Mann auf ihren Einsatz im indischen Teil Kaschmirs warteten.

Der gestrige Luftzwischenfall macht es beiden Regierungen immer schwerer, den Konflikt politisch zu kontrollieren. Besonders in Indien, das sich als die angegriffene Partei fühlt, wird die Regierung zunehmend Mühe haben, eine kompromißlose militärische Intervention mit diplomatischen Beschwichtigungsgesten zu verbinden. Bisher haben beide Seiten den „Geist von Lahore“ beschworen, wo sich die beiden Regierungschefs vor drei Monaten auf freundschaftliche Beziehungen geeinigt hatten. Selbst Indiens Verteidigungsminister George Fernandes betonte, die Freundschaft mit Pakistan müsse weitergehen. Militärsprecher wiederholten auch nach dem Luftzwischenfall, Delhi werde seine Luftschläge weiterhin auf indisches Territorium beschränken. Dazwischen mischten sich aber bereits ominöse Äußerungen, wonach Indien dafür sorgen werde, daß sich solche Zwischenfälle nicht wiederholen.

Auch auf pakistanischer Seite gab man sich nach außen bisher konziliant. Außenminister Sartaj Aziz beschuldigte zwar den Nachbarn, Grenzverletzungen begangen zu haben. Aber auch er beschwor die Notwendigkeit vertrauensbildender Gesten. Der als Scharfmacher bekannte Sprecher des Außenministeriums betonte seinerseits, Pakistan werde den Dialog fortsetzen und weiterhin gutnachbarschaftliche Beziehungen mit Indien suchen. In der indischen Öffentlichkeit werden solche Worte aber immer mehr als Nebelvorhang interpretiert, den Pakistan braucht, um dahinter eine Veränderung des territorialen Status quo anzustreben. Einzelne Zeitungen vergaßen nicht zu erwähnen, daß bisher alle drei Kriege zwischen beiden Ländern mit der Infiltration von „Freiwilligen“ begonnen haben.