Große Reden, kleine Taten

■ Spanien

Größer hätte der Kulturschock nicht sein können: Als Ende April die ersten 102 Kosovo-Flüchtlinge in Spanien ankamen, war alles bis ins kleinste Detail vorbereitet. In einer leeren Schule in Sigüenza bei Madrid waren Unterkünfte, Schulzimmer, Freizeiträume, ja selbst eine Moschee hergerichtet. Perfekt. Doch dann kam die Gruppe aus freiwilligen Betreuern, Medizinern und Psychologen auf eine ganz besondere Idee. Ein Fest mit Rockmusik zum Empfang. Statt sich zu freuen, brachen die ausgemergelten Kosovaren endgültig zusammen. Heulend saßen sie um die Tische. Verständnislos blickten sie mit leeren Augen in die Kameras der Fernsehsender. Keiner verstand, was schluchzend aus ihnen herausbrach. Der Ruf der Regierung nach Dolmetschern hatte noch keine Wirkung gezeigt in einem Land, in dem vor den Kosovaren nicht einmal hundert Albaner lebten.

Die Odyssee des gefeierten ersten spanischen „Kontingents“ begann bereits zwei Tage früher, am 24. April, im Flüchtlingslager von Stenkovac in Makedonien. Die Verantwortlichen der spanischen Regierung und die Vertreter der UN-Flüchtlingsmission stellten die Gruppe der Spanienreisenden zusammen, ohne die Auserwählten zuvor zu befragen. Empörung war die Folge. Wenn überhaupt, war den meisten Flüchtlingen Spanien nur durch sein unrühmliches Ausscheiden bei der letzten Fußball-WM ein Begriff. Um auf die iberische Halbinsel reisen zu wollen reichte dies nicht. Die Liste wurde schnell überarbeitet.

Anfangsschwierigkeiten, an die Regierungschef José Maria Aznar nicht mehr erinnert werden will. „Großzügigkeit“ ist sein Lieblingswort, wenn er von den Kriegsvertriebenen redet oder sie mit der Gemahlin besucht. Sie alle haben eine Arbeitserlaubnis erhalten, was das spanische Flüchtlings- und Asylgesetz eigentlich nicht vorsieht. Das psychologische Team möchte mit dieser Maßnahme die Depression bekämpfen, die sich unter den Flüchtlingen breitmacht. Die ersten zehn haben bereits einen Arbeitsplatz gefunden.

Aznar habe nichts weiter im Sinn, als „politischen Profit aus dem Schmerz, der Tragödie und dem Drama dieser Leute zu schlagen“, wirft der Sprecher der sozialistischen Opposition Luis Matinez Naval dem Konservativen vor. 5.000 bis 7.000 Flüchtlinge wollte Spanien ursprünglich aufnehmen. Bisher sind es 970. Auch bei der humanitären Hilfe vor Ort ist Aznars Solidarität bei weitem nicht so großzügig, wie er gerne glauben machen möchte. 94 Millionen Mark stellte Madrid bereits am Anfang des Krieges bereit und sparte nicht mit Eigenlob, bis die Opposition herausfand, daß in diesem Betrag die Kosten der spanischen Militärs vor Ort mit eingerechnet sind. Und um zumindest im Ausland mit großen Summen aufwarten zu können, ordnete Vizeregierungschef Fransisco Alvarez Cascos an, daß die unabhängig gesammelten Hilfsgelder auf einem Regierungskonto gesammelt werden. Reiner Wandler