„Weiter mit Milosevic reden“

■  Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Bündnisgrüne), zu den politischen Folgen, die sich aus der Anklageerhebung gegen den jugoslawischen Präsidenten Milosevic ergeben

taz: Herr Volmer, Miloevic ist als Kriegsverbrecher angeklagt. Ist er damit als Verhandlungspartner inakzeptabel?

Ludger Volmer: Wenn wir zu einem Verhandlungsfrieden kommen wollen, müssen wir mit dem Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Jugoslawien einen Vertrag abschließen. Der heißt Miloevic, und daran ändert die Anklageerhebung nichts.

Der bosnische Serbenpolitiker Karadic wurde nicht mehr als Verhandlungspartner akzeptiert, als gegen ihn Anklage in Den Haag erhoben wurde.

Damals in Dayton hat sich Miloevic bereit erklärt, statt Karadic die Geschäfte der serbischen Seite zu führen. Er hat dies auch zu seiner Selbstinszenierung als Friedensengel genutzt. Mittlerweile ist deutlich geworden, daß er die treibende Kraft hinter der mörderischen Politik im zerfallenden Jugoslawien war. Wir stehen nun praktisch vor der Situation, daß es zu Miloevic keine Alternative in der jugoslawischen Politik gibt.

Das erweckt den Eindruck, bei gleichem Unrecht werde mit zweierlei Maß gemessen.

Die Strafverfolgung ist nicht durch die Verhandlungen ausgesetzt. Der juristische und der politische Prozeß werden sich parallel entwickeln müssen.

Bundesaußenminister Fischer sagte kürzlich, daß eine neue Lage für die Nato eintritt, wenn Miloevic angeklagt wird. Dann werde das Bündnis Konsequenzen ziehen müssen. Welche Konsequenzen werden denn nun gezogen?

Es gibt deshalb noch keinen neuen Ansprechpartner in Jugoslawien. Wir hoffen aber, daß die Anklageerhebung in Jugoslawien dazu führt, daß die Bevölkerung und die verantwortlichen Politiker sehen, daß es mit Miloevic keine positive Zukunft geben kann. Es könnten sich ja, nicht zuletzt aufgrund der Anklageerhebung, andere politische Kräfte durchsetzen.

Die Staatengemeinschaft kann eine friedenserzwingende Maßnahme auch ohne Miloevic beschließen.Warum wird das nicht angestrebt?

In allen westlichen Staaten sinkt die Zustimmung der Bevölkerung zu militärischen Maßnahmen rapide. Der Einsatz von Bodentruppen würde nicht mitgetragen werden.

Aber macht die Anklageerhebung nicht den Bodentruppeneinsatz plausibler?

Der Westen ist in seinem Handlungsdilemma unter anderem, weil er seine Intervention mehr auf der Grundlage von moralischer Legitimität diskutiert hat und weniger mit Blick auf die politische Durchsetzbarkeit und die militärische Gewinnbarkeit. Diese beiden Kriterien stehen gegen einen Bodentruppeneinsatz.

Wächst der Druck der amerikanischen und britischen Seite für einen Einsatz von Bodentruppen durch den Spruch von Den Haag?

Diese Tendenz ist in Großbritannien ohnehin stark gewesen und auch in einigen US-amerikanischen Kreisen. Die Partner wissen allerdings, daß die deutsche Öffentlichkeit mit einem solchen Begehren überstrapaziert würde. Ich sehe in Deutschland weder in der Regierung noch im Parlament eine Zustimmung zu Bodentruppen.

Wie ändert sich die russische Haltung durch die Anklage gegen Miloevic?

Rußland will als ehrlicher Makler zwischen Belgrad und der Nato fungieren. Daß mit der Anklage eine Seite einen verbrecherischen Charakter trägt, macht die russische Aufgabe nicht leichter.

Rußland könnte nun davon absehen, Miloevic als Vertragspartner mit einzubeziehen.

Rußland war auch in der Vergangenheit nicht glücklich, die Position Miloevic' zu transportieren. Doch ein Großteil der russischen Bevölkerung erkennt in den Serben ein Brudervolk, dem es Solidarität schuldet. Das macht die Schwierigkeit der russischen Position aus.

Fischer hat erklärt, falls es im Juni keine diplomatische Lösung gebe, „müssen wir und eine ganz neue Strategie überlegen“. Worin besteht diese Strategie?

Unser Ziel ist die Rückführung der Vertriebenen. Wenn wir bis zum Ende des Sommers nicht zu einer Verhandlungslösung kommen, müssen wir das Leben der Flüchtlinge sichern. Das Leben der Flüchtlinge kann nicht in den Lagern in Makedonien, Albanien und Montenegro gesichert werden.

Bedeutet das die Schaffung von militärisch abgesicherten Enklaven im Kosovo?

Nein. Das bedeutet, daß man die Leute in großem Stil evakuieren muß, mit den entsprechenden langfristigen Folgen

Damit hätte Miloevic sein Kriegsziel erreicht.

Richtig. Deshalb gilt es, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, vor Einbruch des Herbstes zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Interview: Dieter Rulff