Anklage in Den Haag als Verhandlungshemmnis

■ In Bonn wird die Anklageerhebung gegen Milosevic eher skeptisch beurteilt

Von einem „GAU“ spricht Angelika Beer, Wehrexpertin von Bündnis 90/Die Grünen. Sie meint, daß sich mit der Anklage gegen den jugoslawischen Präsidenten Miloevic vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Chancen für eine diplomatische Lösung der Kosovo-Krise erheblich verschlechtert haben. Pessimistisch äußerte sich auch der SPD-Politiker Egon Bahr gegenüber der taz: „Ich fürchte: Wenn er angeklagt wird, wird das sein Interesse an einem Verhandlungsfrieden sehr reduzieren und diejenigen ermutigen, die in Amerika auf einen Siegfrieden steuern.“

Unter juristischen Gesichtspunkten könnte Miloevic auch weiterhin Verhandlungspartner des Westens bleiben, aus politischen Gründen ist das jedoch kaum zu erwarten. Die Bundesregierung hat mit Miloevic' Menschenrechtsverletzungen stets die Nato-Angriffe auf Jugoslawien begründet. Die Anklage sei ein Vorgang, „den wir im Prinzip nur begrüßen können,“ erklärte gestern Wolfgang Ischinger, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Außenminister Joschka Fischer betonte gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Védrine, es habe sich nichts an der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft geändert, nach einer diplomatischen Lösung zu suchen.

In Bonner Regierungskreisen wurde gestern eingeräumt, daß die Lage komplizierter geworden sei. Noch ließen sich die Folgen der jüngsten Entwicklung nicht abschätzen, hieß es. Zugleich wurde die vorsichtige Hoffnung geäußert, die Entscheidung des Gerichts könne die demokratischen Kräfte in Jugoslawien stärken und möglicherweise so im Lande selbst zu einem Machtwechsel führen. „Auf die innerserbische Opposition zu hoffen ist derzeit kaum realistisch“, meinte dagegen Eberhard Brecht, stellvertretender außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, der die Anklageerhebung als „berechtigt“, aber „erheblich zu spät“ bezeichnete.

Schwieriger als vorher dürfte die Situation für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen geworden sein. Sie trifft am Montag zu einer Sondersitzung zusammen. Ursprünglich sollte dort über eine Resolution zum Kosovo-Konflikt beraten werden, die den vor rund zwei Wochen gefällten Parteitagsbeschluß zum Thema und damit auch die Forderung der Delegierten nach einer Feuerpause aufgreifen sollte. Ob an diesem Vorhaben angesichts der neuen Lage festgehalten wird, stand gestern noch nicht fest. Bettina Gaus