Die heilige Catherine der Schnapsflaschen

■ Neu im Kino: In „Place Vendôme“ zeigt Catherine Deneuve klasse Schattenseiten

Übernächtigt und mit aufgedunsenem Gesicht nippt Catherine Deneuve an einer Tasse Tee und hält sie dabei so unsicher, daß ein paar Tropfen auf ihr Kleid fallen. Wie bitte? Catherine Denveuve kleckert? Die letzte große Diva des Kinos zeigt sich versoffen und (noch schlimmer) alltäglich? Diese erste Szene des Films „Place Vendôme“ von Nicole Garcia wirkt wie ein Schock. Sie ist ein gewagtes Gambit. Und ein Beleg dafür, daß Catherine Deneuve eine große Schauspielerin ist, liegt darin, daß sie diese Alkoholikerin glaubwürdig spielt und im Lauf der Zeit die Dekonstruktion ihres Images sogar wieder rückgängig machen kann.

Langsam, von Szene zu Szene, bekommt diese Frau ihr Leben wieder in den Griff, und wir sehen mit staunenden Augen, wie die Deneuve wieder schön wird, so daß sie am Schluß wieder so aussieht und wirkt, wie ganz Frankreich sie verehrt. Zu Recht hat sie für diese Meisterleistung in Venedig den goldenen Löwen als beste Schauspielerin erhalten. So radikal und uneitel war sie vorher nur in Polanskis „Ekel“ und Bunuels „Belle de Jour“ am Beginn ihrer Karriere.

Marianne wird unsanft aus ihrer Leidensgeschichte als depressive Alkoholikerin gerissen, als ihr Mann, der Juwelier Vincent Malivert, mit seinem Auto in den Tod rast. Das Geschäft steht kurz vor dem Ruin, und mit einigen gestohlenen Diamanten findet sich Marianne plötzlich zwischen den Fronten eines Kampfes französischer Großhändler mit der russischen Mafia wieder. Gegen alle Erwartungen weckt diese Katastrophe den Lebenswillen von Marianne neu, und sie steigt in das riskante Spiel mit ein.

All die Intrigen, komplizierten Verschachtelungen und Beziehungen können einem allerdings schon ein wenig auf die Nerven gehen. Das Drehbuch ist voller dramaturgischer Taschenspielertricks: noch eine Kehrtwendung, noch ein Verrat, noch eine Lebensbeichte im Café – all das tat nicht not!

Regisseurin Nicole Garcia hat es der Deneuve noch schwerer gemacht, indem sie mit der jungen Schauspielerin Emmanuelle Seigner eine von den neuen Schönen des französischen Kinos zu ihr in den Ring steigen ließ. Diese sieht oft aus wie die Deneuve vor 30 Jahren, aber statt sich gegenseitig die Szenen zu stehlen, ergänzen sich die beiden Frauen erstaunlich gut. An der von Seigner gespielten Nathalie sieht man, durch welche Versuchungen Marianne seelisch so verletzt wurde.

All das ist in eleganten, ausgesucht schönen Bildern erzählt, und man bekommt auch einen Einblick in das Handwerk der Juweliere. Wer hätte gedacht, daß die Diamantenbörse in Antwerpen, auf der die Hälfte des Edelstein-Welthandels getätigt wird, aussieht wie der Speisesaal eines englischen Colleges?

Wilfried Hippen

Täglich im Atlantis