Wider die Patienten

Mit dem Psychotherapeutengesetz wurde die Zahl der anerkannten und von den Krankenkassen finanzierten Behandlungsverfahren eingeschränkt  ■   Von Ole Schulz

„Scharlatanen, die pseudopsychologische Leistungen feilbieten“, würde es einen Riegel vorschieben. Es ist nicht lange her, da lobte der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) noch ein Gesetzesvorhaben, um das ein Vierteljahrhundert gestritten wurde. Es sollte den direkten Zugang der Patienten zu den als Psychotherapeuten ausgebildeten Psychologen regeln und letztere zudem in das System der kassenärztlichen Versorgung eingliedern.

Doch seit das Psychotherapeutengesetz im Januar in Kraft trat, hat sich der Ton geändert: Weil die Zulassungsausschüsse der Ärzte und Krankenkassen Tausenden von Diplompsychologen die Anerkennung verweigern, sei vielerorts mit einer akuten Unterversorgung von Psychotherapeuten zu rechnen, heißt es nun. Und das alles zum Leidwesen der Patienten, wird auf einmal geklagt. Dabei war das Gesetz nie wirklich patientenfreundlich konzipiert.

Der Stimmungswandel bei den Psychologen hat seine Gründe: Denn das Gesetz war eigentlich einmal als „Lobbygesetz“ geplant, „das die Berufsverbände der Psychologen über Jahre vorantrieben“, sagt der Berliner Diplompsychologe Ulfried Geuter. Nur, daß mit dem Gesetz „der Bock zum Gärtner“ gemacht wurde, wie Geuter am eigenen Leibe erfahren mußte. Denn nachdem Geuter, der seit über zehn Jahren mit den Krankenkassen abrechnet, die Hürde der staatlichen Approbation bereits genommen hat, verweigert ihm nun der von den Kassenärzten dominierte Zulassungsausschuß die Anerkennung. Beim Nachweis der erforderlichen theoretischen Ausbildung und Praxisstunden gebe es „eine gewisse Willkür der Auslegung“, sagt Geuter.

Während die Therapeuten, die bisher schon im Delegationsverfahren, also auf Weisung eines Psychiaters, tätig wurden, weniger Probleme haben, trifft es Psychotherapeuten wie Geuter hart, die bisher mit den Krankenkassen über das Kostenerstattungsprinzip abgerechnet haben. Solche Therapeuten beantragten gemeinsam mit ihrem Patienten bei der Krankenkasse eine Übernahme der Behandlungskosten – per Kostenerstattung werden inzwischen etwa die Hälfte der ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen in Deutschland finanziert. Viele dieser Psychotherapeuten „werden vor dem Herbst keine Zulassung erhalten“, befürchtet Marga Henkel-Gessat vom BDP in Berlin.

Das plötzliche Wehklagen der Psychologen kann Geuter dennoch nicht verstehen: Ihnen sei es mit dem Gesetz gar nicht um eine bessere Patientenversorgung gegangen, sondern vielmehr darum, „ihre Berufsgruppe im Gesundheitswesen zu etablieren“, sagt Geuter. Das Gesetz schuf mit den psychologischen Psychotherapeuten nun auch einen neuen Heilberuf – den fünften in Deutschland neben dem Arzt, dem Zahn- und Tierarzt und dem Apotheker.

Aber dadurch, daß man den Kassenärzten eine so große Rolle bei der Zulassung der Psychologen gegeben hat, hat sich das Kräfteverhältnis einmal mehr zugunsten der Ärzte verlagert. Denn die Ärzte mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung, auch „ärztliche Psychotherapeuten“ genannt, scheinen sich mit Hillfe strenger Zulassungskriterien gegen die neue Konkurrenz durch die psychologischen Therapeuten zu wehren. Hintergrund sind die dramatischen Einbußen bei Honoraren für psychotherapeutische Behandlungen. Die Primärkassen wie die AOK zahlen in Berlin für eine Therapiestunde nur noch 75 Mark – das ist ein Stundensatz, der unter dem von Autowerkstätten liegt. „Ich müßte allein 40 Therapiestunden in der Woche geben, um wirtschaftlich zu arbeiten – das ist eine seelische Überforderung“, beschwert sich Ulfried Geuter.

Die wirklichen Verlierer des Gesetzes sind aber all jene Pädagogen und Sozialwissenschaftler, die seit vielen Jahren als Therapeuten wertvolle Arbeit leisten, aber nicht unter das Gesetz fallen. Sie dürfen sich jetzt weder weiter Psychotherapeuten nennen noch mit den Krankenkassen abrechnen. Bundesweit seien rund ein Fünftel aller Therapeuten dieser Gruppe zuzurechnen, sagt Geuter. Wie viele es in Berlin gibt, kann nur geschätzt werden – es dürften aber mehrere hundert sein.

Günter Hahn ist einer von ihnen. Derzeit hat der 56jährige regelrecht Angst davor, wie es beruflich weitergehen soll. Immerhin hat er die Heilpraktikerprüfung abgelegt und darf so – wenngleich eingeschränkt – psychotherapeutisch behandeln. Schwerwiegender für Hahn ist, daß er ausgebildeter Gestalttherapeut ist. Denn der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen erkennt nur die Verhaltenstherapie, die Psychoanalyse und tiefenpsychologisch orientierte Methoden als wissenschaftlich überprüfbare Richtlienienverfahren an, die von den Kassen bezahlt werden.

Die Gestalttherapie wird wie die Gesprächstherapie oder das Psychodrama nicht anerkannt, obwohl sie sich praktisch-klinisch bewährt hat. Nach einer Befragung in Berlin wenden etwa 64 Prozent der Verhaltenstherapeuten auch gesprächstherapeutische Methoden an. Die Integration verschiedener psychotherapeutischer Methoden ist vor allem in Kliniken und Krankenhäusern weit verbreitet. „Seit langem werden hier familien-, körper- und kunsttherapeutische Ansätze mit einer tiefenpsychologischen oder verhaltensorientierten Therapie verbunden“, sagt Geuter. Eine Gestalttherapie empfehle sich etwa bei besonders vergeistigten Menschen, sagt Günter Hahn, die alles – auch ihre Neurosen – rational zu erklären versuchten. „So jemand muß erst wieder lernen, seinen Körper zu spüren.“ In Berlin, der Stadt mit der höchsten Therapeutendichte Deutschlands, ist wohl weniger eine Unterversorgung zu befürchten, als daß sich die Beschränkung der Therapien negativ auswirken wird.

Die Gestalttherapie wird nicht anerkannt, obwohl sie sich in der Praxis bewährt hat