■ Moabiter Werder
: „Architekten sollten pflichtwohnen“

Jürgen Vortmann, 43 Jahre, Kraftfahrer

Der Moabiter Werder sieht wie ein Ghetto aus. Um dieses Ambiente zu vervollständigen, müßte man nur eine Schranke davorsetzen. Dann wären die Bonner unter sich. Die S-Bahn direkt vorm Fenster – das erinnert an amerikanische Filme. Die Wohnungen nach hinten raus mit Blick auf die Spree bekommen wohl die Besserverdiener. Aber wer will schon mitten in diesem Block wohnen?

Stephanie Castendyk, 37 Jahre, Therapeutin

Hier war ein großes Gebiet Brachland, das man im ganzen bebaut hat, ohne gewachsene Struktur. Es ist nie günstig, wenn große Flächen mit Einheitsbebauung versehen werden. Diese spitzwinklige Architektur ist nicht sehr gelungen. Man hat damit beim Brandt-Haus begonnen, mittlerweile zieht sie sich durch die ganze Stadt. Ich bin für ein architektonisches Strafrecht: Architekten sollten pflichtwohnen.

Lars Kinzel, 27 Jahre, Polizist

Die Anlage hat Gefängnischarakter: Die roten Backsteine, die vielen Fenster nebeneinander – alles ist so eng zusammengepfercht. Die Grünanlagen werden das kaum ausgleichen. Die meisten Bonner kommen ja nur einige Tage in der Woche, dafür sind die Wohnungen geeignet. Sie sind gut geschnitten. Allerdings haben sie keine Balkone. Heute will niemand mehr eine Wohnung ohne Balkon.

Martin Schüssler, 20 Jahre, Student

Ich wohne selbst gegenüber vom Moabiter Werder. Die S-Bahn ist sehr laut, sonst ist die Lage aber optimal. Im Umkreis findet man alles, was Berlin zu bieten hat. Die normalen Mieter werden zu spüren bekommen, daß der Bezirk sehr teuer wird. Die Bonner werden es hier nobel wollen. Viele Leute ziehen bereits weg. Die kleinen Geschäfte müssen weichen für Boutiquen und große Läden.

Annelise Urbanski, 70 Jahre, Rentnerin

Es wundert mich, daß man Klinkersteine verwendet hat. Das wirkt sehr düster, ich hätte mir mehr Helligkeit für die Gegend gewünscht. Die Gebäude sehen aus, als hätten sie Schießscharten. Ich wohne seit 48 Jahren hier. Zuerst wollte ich wegen der S-Bahn sofort wieder ausziehen, aber daran gewöhnt man sich. Auch wenn mir die Gebäude nicht gefallen, wird die Gegend sicher schöner werden.

Doris Unger, 48 Jahre, optische Prüferin

Der Moabiter Werder erinnert mich an ein Wohnsilo oder eine Kaserne. Ich würde dort nicht einziehen, weil es nicht wie eine Wohngegend wirkt. Die spitzen Häuser und auch die Schlangenlinien gefallen mir nicht. Eigentlich unterscheidet es sich nicht von Marzahn. Der Moabiter Werder wird den Ansprüchen der Bonner nicht genügen. Die wollen wohl eher nach Zehlendorf, Grunewald oder in die City.

Umfrage: Julia Weidenbach

Fotos: Rolf Schulten