Die Probe aufs Exempel für Bonner Gäste

■ Wer von den 11.000 Umzüglern aus der alten in der neuen Hauptstadt noch keine Bleibe hat, findet sie für sechs Wochen im „schäbigsten Haus“, dem Bundesgästehaus in Berlin-Johannisthal

„Fotografieren“, sagt Wolfgang Hofmann schnell, „ist hier drin nicht erlaubt. Sie wissen schon, die Dienststelle aus Köln.“ Der 47jährige Leiter des Gästehauses des Bundesverwaltungsamts sitzt in der Gaststätte seines Hauses. Neben ihm hat Marlies Protz (45) Platz genommen. Seit 22 Jahren arbeitet sie hier, zu DDR-Zeiten als Mitarbeiterin des Gästehauses des Ministeriums des Inneren, nun, nach der Wende, als Empfangsdame für die Bonner.

Wer in Berlin auf Dienstreise ist oder eine Wohnung sucht, kommt am Gästehaus am Groß-Berliner-Damm in Johannisthal mit seinen 120 Zimmern und 35 Mitarbeitern nicht vorbei. „Draußen dürfen sie fotografieren“, nickt Wolfgang Hofmann. Die Anordnung der Kölner Dienststelle versteht er selbst nicht. Immerhin macht das klobige Haus von außen keinen allzuguten Eindruck. Die Fassade bröckelt, der Gehweg vor dem Eingangsbereich ist staubig.

„Wenn wir unseren Gästen am Telefon sagen, raus aus der S-Bahn und dann das schäbigste Haus an der Straße, finden sie es“, schimpft der Gästehausleiter. Drinnen dagegen ist seit einiger Zeit das meiste herausgeputzt. Die Zimmer sind renoviert und nicht schlechter als in jedem Mittelklassehotel, und die Gaststätte wirkt mit ihren pastellgrünen Holzstühlen und den weinroten Tischdekken bürgerlich und gediegen. Ob das reicht als Visitenkarte für die Hauptstadt?

Um 17 Uhr sind die meisten Gäste noch unterwegs. Nur zwei Dienstreisende aus Wiesbaden bringen ein paar leere Bierflaschen an die Rezeption. „Nein“, sagen sie, „wir ziehen nicht nach Berlin.“ Es klingt nicht gerade, als wären sie traurig darüber. Berlin-Distanzen dieser Art findet Marlies Protz allerdings nicht repräsentativ. „Viele Bonner haben sich mit Berlin inzwischen angefreundet, vor allem die, die vor ein paar Jahren schon mal hier waren und nun die Fortschritte sehen.“ Natürlich weiß auch die Berlinerin Protz, daß ein Gästehaus weit draußen in Johannisthal die Gäste aus Bonn vor eine harte Probe stellt, und sei es nur im Stau auf dem Adlergestell. „Aber so ist eben die Großstadt“, sagt sie, „in Bonn war natürlich alles viel kleiner, überschaubarer, da wohnten die im Grünen und fuhren trotzdem nur ein paar Minuten zum Ministerium.“

Trotzdem ist das Haus seit geraumer Zeit ausgelastet. Die Wohnungssuche macht's. Wer von den 11.000 Umzüglern seinen Dienst in der Hauptstadt antritt und noch keine Bleibe hat, kann sich für sechs Wochen in Johannisthal einquartieren und sich auf die Suche machen. „Die Vorstellungen sind dabei ganz verschieden“, meint Marlies Protz. Die meisten würden aber gerne ins Grüne ziehen. Den großen Bogen um den Osten, den viele Bonner machten, kann sie nicht bestätigen. „Es gibt manche, die würden gerne auch nach Köpenick“, erzählt sie stolz. Wolfgang Hofmanns Erfahrung ist, daß die meisten Bonner auf den freien Wohnungsmarkt gingen.

„Die wollen nicht nur unter ihresgleichen wohnen“, sagt er. Außerdem seien Bundessiedlungen wie der Moabiter Werder „richtig schlimm“. Ob sich die meisten Umzügler inzwischen mit Berlin abgefunden hätten? „Viele“, sagt Hofmann, „sind vor allem auf ihre neue Arbeit gespannt, das ist eine Herausforderung für sie, das steht im Vordergrund. Erst dann kommt die ungewohnte, hektische Großstadt.“

Ein junges Pärchen kommt zur Rezeption. Es geht in die Stadt. In Schale haben sie sich nicht geworfen. Warum auch. „Umzug?“ sagt die Frau, die in einer nachgeordneten Dienstelle des Bundesinnenministeriums arbeitet. „Nein, kein Umzug! Das wär' ja noch schöner. Berlin? Nie!“. Uwe Rada