■ Droht eine militärische Eskalation zwischen Indien und Pakistan?
: Die stabile Instabilität

Stehen Indien und Pakistan vor einem neuen Krieg? Ist der historische Händedruck der beiden Regierungschefs vor drei Monaten bereits Makulatur? Die Ereignisse der letzten Tage lassen es befürchten: Pakistanisch unterstützte Kämpfer besetzen indisches Gebiet, indische Kampfjets steigen auf, Pakistan schießt eine MiG und einen Kampfhelikopter ab, Indien spricht von einem „feindlichen Akt“. Es ist ein Muster des Hochwiegelns, das schon frühere Waffengänge eingeleitet hat.

Doch Scharmützel an der Waffenstillstandslinie gehören zum eingespielten Ritual in diesem 50jährigen Konflikt. Dies besonders nach der Schneeschmelze, wenn Untergrundkämpfer aus Pakistan seit nun zehn Jahren über die hohen Pässe wieder ins Kaschmirtal sickern und dort für die Sezession von Indien kämpfen. Die jüngste Eskalation ist die schwerste seit vielen Jahren, doch sie spielt sich in einem Umfeld mit einem erfahrenen Konfliktmanagement auf beiden Seiten ab – in den Worten eines indischen Offiziers ist es eine „sehr stabile Instabilität“. Der letzte Krieg zwischen beiden Ländern fand vor bald dreißig Jahren statt.

Jugoslawien lehrt uns aber, daß auch eingespielte Konfliktmuster mit ungeahnter Schnelligkeit virulent werden können. Die südasiatischen Streithähne werden zudem bald Atomwaffen besitzen. Während in Kaschmir Granaten auf Dörfer niederregnen, feiert Pakistan mit großem Pomp den ersten Jahrestag seiner Nukleartests. Pakistans Informationsminister sagt: „Zwei Feinde mit Nuklearwaffen stehen sich Auge um Auge gegenüber.“ Und ein indischer Politiker antwortet mit entwaffnender Unschuld: „Ich glaube nicht, daß wir in Kaschmir Atombomben einsetzen werden.“ Die auf dem Subkontinent verbreitete Meinung, das nukleare Gleichgewicht des Schrekkens werde die Spannungen senken, ist schon jetzt nur noch ein frommer Wunsch.

Dennoch sind die beiden Völker nicht in Kriegslaune, wie laut sich ihre politischen Meister auch beschimpfen und beschießen mögen. Die dramatischen Gesten sind nicht mehr als das – Gesten. Sie können nicht verbergen, daß beide Länder noch lange keine einsatzbereiten Atomwaffen haben. Zudem gab es bisher keine Anzeichen, daß sich die Bevölkerungen von dem Kriegsgerassel beeindrucken ließen. Die Nachrichten über Scharmützel in Kaschmir interessieren sie derzeit weniger als der Zweikampf, den sich Indien und Pakistan beim Kricket-Weltcup in England liefern. Bernard Imhasly