Schelte für Kaschmir-Kämpfe

Indische Luftwaffe fliegt weitere Einsätze in Kaschmir, Rebellen schießen Hubschrauber mit Rakete ab. Pakistan feiert seine Atomtests vor einem Jahr   ■  Aus Delhi Bernard Imhasly

Die Eskalation des Kaschmir-Konflikts hat nun auch die Großmächte auf den Plan gerufen. Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates haben Indien und Pakistan aufgefordert, eine Ausweitung des Konflikts zu verhindern. Auch die EU appellierte an die beiden, den im Februar in Lahore begonnenen Dialog weiterzuführen. UNO-Generalsekretär Kofi Annan rief die beiden verfeindeten Nachbarn zur Mäßigung auf. Pakistan verlangt eine Intervention der UNO. Doch angesichts der indischen Ablehnung einer Vermittlung gibt es keine Pläne, die Kaschmir-Frage vor den Sicherheitsrat zu bringen.

Ungeachtet des Verlusts von zwei Kampfflugzeugen am Donnerstag hat Indiens Luftwaffe gestern weitere Einsätzen gegen die aus Pakistan eingedrungenen Kampfgruppen im Kaschmir geführt. Beim Angriff auf eine Stellung bei Tololing im Norden wurde ein MI-17-Kampfhubschrauber durch eine Rakete abgeschossen. Sie war innerhalb des indischen Territoriums abgefeuert worden. In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad sagte ein Rebellensprecher: „Wir haben den Hubschrauber abgeschossen.“ Die vier Insassen kamen ums Leben.

Delhi beziffert die Zahl der indischen Opfer auf 24 und schätzt die der Gegner auf 200. Indische Infanterie, die nach dem Beschuß von Tololing die umkämpfte Anhöhe einnahm, soll dort eine Reihe von Bunkern mit Depots gefunden haben. Dies zeige das Ausmaß der pakistanischen Verwicklung. Pakistanische Offiziere, so der indische Armeesprecher, versuchten, frische Kämpfer über die Kontrollinie zu führen. Dies sei eine Verletzung des Simla-Vertrags von 1972. Darin hatten beide Länder vereinbart, die im Krieg von 1971 etablierte Kontrolllinie gegenseitig zu respektieren und den Konflikt bilateral zu lösen.

Politisch ist Indien bestrebt, den Konflikt weiterhin als Grenzverletzung und nicht als Kriegsfall darzustellen, um eine diplomatische Ausweitung zu verhindern. Verteidigungsminister George Fernandes ging so weit zu behaupten, die Aktion sei eine Initiative des pakistanischen Geheimdienstes ISI, die Regierung in Islamabad habe nichts davon gewußt.

Äußerungen aus Pakistan verraten dagegen den Willen, den Konflikt als Bedrohung regionaler Stabilität darzustellen, um eine internationale Vermittlung zu erzwingen. Informationsminister Mushahid Hussain, der die Eskalation den Indern in die Schuhe schob und sie als Futter für den dortigen Wahlkampf bezeichnete, forderte die Einschaltung der UNO.

Die zweiwöchige Jahresfeier der Nukleartests vom letzten Jahr in Pakistan, die am gestrigen Jahrestag ihren Höheunkt erreichte, sind eine Gelegenheit, das Gespenst eines Nuklearkriegs an die Wand zu malen. Premier Nawaz Sharif sprach vom „Schutz“, den die Atomversuche Pakistan gerade jetzt gäben. Minister Hussain behauptete gar: „Wenn wir nicht Nuklearwaffen hätten, hätte Indien Kaschmir bereits erobert.“ Die Gefahr eines Atomkriegs wird von indischer Seite und auch von kompetenten Pakistanern resolut zurückgewiesen. Der Politologe Bharat Wariavalla meint, beide Länder seien noch weit von einer Atombewaffnung und den dazu benötigten Kommandosystemen entfernt.

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