Skandalauftritte eines exotischen Vogels

■ Der Politclown Wladimir Schirinowski will in der russischen Provinz Gouverneur werden und liefert dabei eine Geschmacklosigkeit nach der anderen ab. Dem gelangweilten Wahlvolk gefällt das

Moskau (taz) – Wladimir Wolfowitsch Schirinowski ist über die Dörfer des Agrar-Gouvernements Belgorod an der ukrainischen Grenze wie ein Hurrikan hereingebrochen. Deren EinwohnerInnen liefert der bekannte Polit-Skandalbruder dieser Tage jede Menge von Geschmacklosigkeiten. Also genau, was sie sich nach seiner Ankündigung erhofft hatten, er werde bei den am morgigen Wahlen bei ihnen für den Posten des Gouverneurs kandidieren.

Selbst die Blinden und Lahmen der so beehrten Gefilde verließen festlich herausgeputzt ihre Häuser, um den exotischen Vogel aus der Hauptstadt zu erleben. Dadurch erhielt Vladimir Wolfowitsch zum Beispiel die Gelegenheit, einem geistig behinderten Jungen im Rollstuhl mit den Worten die Hand auf den Kopf zu legen: „Daß es bei euch solche Kinder gibt, verdankt ihr eurem heutigen Gouverneur!“ Ein andermal erklärte der Star aus Moskau einer alten Frau, die ihm mit einer „dummen“ Frage kam, es sei für sie Zeit, sich auf den Friedhof zu begeben.

Weshalb plagt sich Wladimir Wolfowitsch mit den nach seinen eigenen Worten „stinkenden“ ProvinzlerInnen überhaupt ab? Weshalb arbeiten an die hundertfünfzig seiner WahlhelferInnen in der Provinzhauptstadt Belgorod so emsig, daß sie die Tür ihres dortigen Parteibüros aushängen mußten, um die Klinke vor Überhitzung zu schützen? Die Antwort liegt auf der Hand: Schirinowskis LDPR (Liberaldemokratische Partei Rußlands) gehört nicht mehr zu den beliebten Parteien und könnte bei den im Dezember fälligen Parlamentswahlen leicht unter der Fünfprozenthürde bleiben. Das Volk nahm es den LDPR-Deputierten übel, daß sie sich bei allen Abstimmungen buchstäblich an Präsident Jelzin verkauften.

Daß auch er die LDPR in der Duma gar nicht mehr gerne sähe, äußerte kürzlich der Sprecher des Unterhauses, Gennadi Selesnjow. Er bezeichnete sie gar als „Kaulquappenpartei“, weil sie ihre gesamte Vermögensmasse im Kopf konzentriere. Schirinowski hat nämlich die als Parteibüros fungierenden Wohnungen im ganzen Land als sein Privateigentum registrieren lassen. Mit dem Gouverneursamt gewänne er automatisch einen neuen Parlamentssitz – diesmal im Oberhaus – noch bevor er den alten verliert. Im übrigen gehört Belgorod nicht zu den ärmsten Regionen Rußlands.

Obwohl Schirinowski gar nicht erst so tut, als ob ihm an den Belgorodern persönlich viel gelegen sei, imponiert vielen dort sein Temperament. Ein junger Mann erklärte gegenüber dem Reporter der Tageszeitung Moskowski Komsomoljez: „Ringsum ist alles eine Langweile. Und mit Schirik wird es lustig. ich hab davon gehört, wie er bei uns in einem Bezirk aufgetreten ist – da stirbst du einfach vor Lachen. Da kam so ein Weib auf ihn zu, hob ihren Rock und klagte: mir ist nur noch ein Paar Unterhöschen geblieben. Und er, prompt, zu seinem Wahlhelfer: Schreib die Adresse auf! Schick ihr Schlüpfer!... Die Unseren haben wir so satt!“

Die „Unseren“ sind Schirinowskis Rivalen bei dieser Wahl: der Gouverneur Jewgeni Sawtschenko und der Kandidat der örtlichen Kommunisten, Michail Beschmelnizyn. Sie haben aus Wladimir Wolfowitsch den lachenden Dritten gemacht, indem sie sich bis zur Erschöpfung stritten. Den Zankapfel bildete das Datum der Gouverneurswahlen, die eigentlich erst im Dezember stattfinden dürften. Sawtschenko hat sie vorverlegt, mit der offiziellen Begründung, daß es die Wähler überfordern werde, gleichzeitig bei Parlaments- und Gouverneurswahlen ihre Stimme abzugeben. Die Kommunisten, noch nicht recht wahlkampfbereit, verlegten sich aufs Prozessieren. Erst am Mittwoch hat das Präsidium des Obersten Gerichtshofs Sawtschenko recht gegeben. Experten meinen allerdings, daß diese Entscheidung sich kaum aufs russische Wahlgesetz stützen könnte. Vielleicht ließen sich die Richter von einer beliebten Weisheit ihres Volkes leiten. Sie lautet: Wenn man nicht darf, aber doch schrecklich gern will, dann kann man schon mal.

Mit Sicherheit kann von diesem Gerichtsbeschluß ein weiterer russischer Politiker profitieren, dem es weder an Willen, noch an politischem Gewicht fehlt: Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow. Der hat schon angedeutet, daß er die im Sommer nächsten Jahres anstehenden Wahlen für sein Amt lieber auf den Dezember vorverlegen würde. Dann hätte er im Jahre 2000 mehr Manövrierfreiheit, falls er dann immer noch Präsident werden möchte. Barbara Kerneck