„Eine Kampagne von Terror und Gewalt gegen Zivilisten“

■ Dokumentation: Die wichtigsten Passagen der Anklageschrift des UN-Kriegsverbrechertribunals zu Ex-Jugoslawien gegen Slobodan Milosevic und vier weitere politische Führer in Belgrad

Die Anklägerin des Tribunals vs. Slobodan Miloevic, Milan Milutinovic, Nikola Sainovic, Dragoljub Ojdanic, Vlajko Stojiljkovic

Die Anklageschrift beginnt mit historischen Hintergründen (§ 1 – 39) sowie biographischen Fakten zu den Angeklagten (§ 40 – 80). Die Bevölkerung des Kosovo wird auf „zwischen 1.800.000 und 2.100.000“ geschätzt, „davon etwa 85 – 90 Prozent Kosovo-Albaner“. Ende Februar 1998 habe Serbien damit begonnen, die kosovo-albanische Zivilbevölkerung zu vertreiben Bis 20. 5. 99 seien 740.000 Kosovo-Albaner aus dem Kosovo vertrieben und eine „unbekannte Anzahl“ getötet worden.

Allgemeine Beschuldigungen

§ 81. Zu allen für diese Anklageschrift relevanten Zeiten herrschte im Kosovo ein bewaffneter Konflikt.

§ 82. Alle Taten und Unterlassungen unter dem Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren Teil eines weitverbreiteten oder systematischen Angriffs gegen die kosovo-albanische Zivilbevölkerung im Kosovo.

§ 83. Jeder der Angeklagten ist einzeln für die in dieser Anklageschrift vorgeworfenen Verbrechen verantwortlich:

§ 84. Slobodan Miloevic als Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien, Oberkommandierender der jugoslawischen Armee und Präsident des Obersten Verteidigungsrats,

§ 85. Milan Milutinovic als Präsident Serbiens und Mitglied des Obersten Verteidigungsrates,

§ 86. Generaloberst Dragoljub Ojdanic als Generalstabschef der jugoslawischen Armee,

§ 87. Vlajko Stojiljkovic als Innenminister Serbiens.

Nicht in dieser Auflistung aufgeführt ist der fünfte Angeklagte Nikola Sainovic, Vizepremier der Bundesrepublik Jugoslawien.

§ 88. Ein Verantwortungsträger ist für die Taten seiner Untergebenen verantwortlich, wenn er wußte oder wissen konnte, daß seine Untergebenen im Begriff waren, solche Taten zu begehen, oder sie begangen hatten, und er vermied, die nötigen und sinnvollen Maßnahmen zu treffen, um diese Taten zu verhindern oder ihre Täter zu bestrafen.

Vorwürfe: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Bruch des Kriegsvölkerrechts.

§ 90. Seit Januar 1999 bis zum Datum dieser Anklageerhebung haben Slobodan Miloevic, Milan Milutinovic, Nikola Sainovic, Dragoljub Ojdanic undVlajko Stojiljkovic eine Terror- und Gewaltkampagne gegen kosovo-albanische Zivilisten im Kosovo in der Bundesrepublik Jugoslawien geplant, veranlaßt, befohlen, verübt oder Beihilfe dazu begangen.

§ 91. Die gegen die Kosovo-Albaner gerichteten Operationen wurden mit dem Ziel durchgeführt, einen wesentlichen Anteil der kosovo-albanischen Bevölkerung aus Kosovo zu entfernen.

§ 92. Die Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbiens haben in systematischer Weise Hunderttausende Kosovo-Albaner gewaltsam aus ihren Häusern quer durch die gesamte Provinz Kosovo geräumt und intern vertrieben. Um diese Räumungen und Vertreibungen zu erleichtern, schafften die Streitkräfte der Bundesreublik Jugoslawien und Serbiens absichtlich eine Atmosphäre der Furcht und Unterdrückung geschaffen, durch Anwendung von Gewalt, Androhung vo Gewalt und Gewaltakten.

§ 93. Im gesamten Kosovo haben die Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbiens das private und gewerbliche Eigentum von aus ihren Häusern gezwungenen Kosovo-Albanern geplündert.

§ 94. Im gesamten Kosovo haben die Streitkräfte der budnesetrpubik Jugoslawien und Serbiens eine systematische Kampagne der Zerstörung von Eigentum von Kosovo-Albanern unternommen. Getätigt wurde dies durch verbreiteten Beschuß von Städten und Dörfern; Verbrennen von Häusern, Höfen und Unternehmen; Zerstörung von Privateigentum. Als Ergebnis dieser orchestrierten Aktionen sind Dörfer, Städte und ganze Regionen für Kosovo-Albaner unbewohnbar gemacht worden.

§ 95. Im gesamten Kosovo haben die Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslaewien und Serbiens kosovo-albanische Zivilisten belästigt, erniedrigt und entwürdigt. Polizisten, Soldaten und Militäroffierei haben Kosovo-Albaner auf Grundlage ihrer rassischen, religiösen und politischen Identifizierung ständig Beschimpfungen, rassistischen Beleidigungen, erniedrigenden Handlungen, Schlägen und anderen Formen physischer Mißhandlung unterworfen.

§ 96. Im gesamten Kosovo haben die Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbiens die Identitätspapiere und Fahrzeugzulassungen von kosovo-albanischen Zivilisten systematisch beschlagnahmt und vernichtet, um jeden Beleg der Anwesenheit der deportierten Kosovo-Albaner im Kosovo auszulöschen und ihnen das Recht zur Rückkehr in ihre Heimat vorzuenthalten.

§ 97. Die obengenannten Handlungen haben bis zum Datum dieser Anklageerhebung die ZwangsDeportation von etwa 740.000 Kosovo-Albanern zum Ergebnis gehabt.

Es folgt eine Auflistung von zehn Vorfällen von Massenvertreibung. Ein Beispiel:

e) Pec/Peje. Am 27. und 28. 3. 99 gingen Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbiens von Haus zu Haus und zwangen Kosovo-Albaner zum Gehen. Manche Häuser wurden angezündet, und eine Anzahl von Menschen wurde erschossen. Soldaten und Polizei waren an jeder Strße stationiert und zwangen die Kosovo-Albaner in Richtung Stadtmitte. Als die Leute die Stadtmitte erreichten, wurden die ohne Autos oder Fahrzeuge gezwungen, Busse oder Lastwagen zu besteigen, und wurden in die Stadt Prizren gefahren. Außerhalb von Prizren wurden die Kosovo-Albaner aus den Bussen gezwungen und mußten etwa 40 Kilometer an die albanische Grenze laufen, wo sie angewiesen wurden, ihre Papiere serbischen Polizisten zu übergeben.

§ 98. Seit Januar 1999 bis zum Datum dieser Anklageerhebung haben Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbien unter Führung und mit der Ermunterung oder der Unterstützung von Slobodan Miloevic, Milan Milutinovic, Nikola Sainovic, Dragoljub Ojdanic undVlajko Stojiljkovic Hunderte kosovo-albanische Zivilisten ermordet.

Es folgt eine Auflistung von sieben Vorfällen mit insgesamt 391 Toten, von denen 344 im Anschluß namentlich genannt werden. Ein Beispiel:

c) An oder um den 25.3.99 wurden die Dörfer Velika Krusa/Krushe e Mahde und Mali Krusa/Krushe e Vogel von Streitkräften der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbiens angegriffen. Dorfbewohner suchten Zuflucht in einem Waldgebiet außerhalb von Velika Krusa/Krushe e Mahde, wo sie sehen konnten, wie die Polizei systematisch die Dorfhäuser plünderte und dann anzündete. An oder um den Morgen des 26. 3. 99 fand serbische Polizei die Dorfleute im Wald. Die Polizei befahlen den Frauen und kleinen Kindern, das Gebiet zu verlasesn und nach Albanien zu gehen. Die Polizei durchsuchte dann die Männer und Jungen und nah ihnen ihre Papiere ab. Danach mußten sie zu einem unbewohnten Haus zwischen dem Wald und Mali Krusa/Krushe e Vogel gehen. Als die Männer und Jungen im Haus versammelt waren, eröffnete die serbische Polizei auf die Gruppe das Feuer. Nach mehreren Minuten Gewehrfeuer stapelte die Polizei Heu auf den Männern und Jungen und zündete es an, um die Leichen zu verbrennen. Als Ergebnis der Schüsse und des Feuers wurden etwa 105 kosovo-albanische Männer und Jungen von serbischer Polizei getötet.

Es folgen die vier Anklagepunkte:

1. Deportation, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

2. Mord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

3. Mord, ein Bruch des Kriegsvölkerrechts im Sinne der Genfer Konvention.

4. Politische, rassische und religiöse Verfolgung, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Louise Arbour, Anklägerin, 22. Mai 1999, Den Haag, Niederlande.

Übersetzung: D. J.