Der Friedhof der Kuschelritter

■ Christoph Diems Theaterzwitter „Gipsy Hill“ bei den „Jungen Hunden“

In Zeiten von flüchtigen Sexualbeziehungen und Seitensprungstatistiken in Frauenzeitungen fällt es schwer, sich vorzustellen, wie ein Mann die weibliche Ehre raubt – und dann auch noch in Serie. Daran krankt das Thema von Don Juan – zumal die Moral christlicher Abschreckung, die dem Stück vom spanischen Mönch Tirso de Molina 1630 mitgegeben wurde, auch zeitgenössisch geschnetzelt nicht mehr schmecken mag. Ein Mann, der manisch wechselnde Affären braucht, findet sich heute eher unter der psychologischen Lupe wieder, wo Beziehungsunfähigkeit und Versagensangst diagnostiziert wird. Der Glanz des starken Verführers, den man bräuchte, um ihn im Geiste diverser Todsünden effektvoll zu bestrafen, will da erst gar nicht aufkommen.

So stecken meist armselige Gockel oder Klemmschwuchteln im Kostüm des Ritters vom stehenden Gemächte und die Bestrafung scheint meist ebenso übertrieben wie die Amoralität des spanischen Galans. Folglich zeugt die Entscheidung des 29-jährigen Regisseurs Christoph Diem, sich lediglich des Stereotyps des notgeilen Hahnestolzes zu bedienen, um damit ein atmosphärisches Spiel über Mann und Frau zu modellieren, vom Talent für den richtigen Entschluß.

Sein Stück Gipsy Hill, eine Abschlußinszenierung des Studiengangs Schauspieltheater-Regie der Uni im Rahmen des Festivals Junge Hunde aufgeführt, operiert sich häppchenweise aus der Vorlage und seiner allgemeinen Lebenserfahrung zusammen. So entsteht ein zwitterhafter Theaterabend aus unterschiedlich unterhaltsamen Szenen, die mal Klassikertheater, mal Clubabende streifen.

Da werden Countrylieder gesungen, persönliche Anekdoten erzählt oder plötzlich in Barmbeker Proll-Slang gewechselt. Sarah-Maria Bürgin porträtiert verschiedene Mädchenrollen von schüchtern emanzipiert bis selbstbestimmt lüstern als ständiges Don-Juan-Korrektorat. Knecht Catalinon, ein phlegmatischer Ironiker, der gerne ißt und bricht, erzählt die Geschichte seines Chefs als Märchen ohne Tragik. Das Bühnenbild, ein Mix aus Gletscherlandschaft, Friedhof auf Flokati und St.-Pauli-Club, läßt das unbeschwerte Spiel gut aussehen, und der fehlende Klebstoff einer Moral sorgt für gleichmäßig verteilte Sympathie.

Diems Stärke, Lebendigkeit und Abwechslung zu ermöglichen, besitzt allerdings die Kehrseite, daß man den zwingenden Grund für seine Stückwahl vermißt. Die Verweigerung von Stringenz und Entwicklung gibt zwar Platz für Performance, aber eine nachdenkliche Interpretation seines Motivs findet dabei nicht statt. Eher eine Umkehrung des Verdichtungsprozesses, den Tirso de Molina geleistet hat. Der erlauschte sich die Szenen für sein Theaterstück nämlich im Beichtstuhl. 370 Jahre später zerlegt Diem dessen Kunstwerk wieder in Bekenntnisse. Kees Wartburg