Willkommen im Backofen

■ Ariel Dorfmans thrillerhaftes Schuld-und-Sühne-Stück „Der Tod und das Mädchen“ gibt's jetzt als gut gelungene Sparversion

Neulich im Spartheater. Ein paar Bahnen Tanzboden und ein bauwagengroßer Quader aus Vierkanthölzern verwandeln den Saal im Lagerhaus in einen Bühnenraum. Vor dem Stück machen noch die Ventilatoren an der Decke Wind. Doch dann wird es heiß, für manche zu heiß. Willkommen im Backofen namens „Der Tod und das Mädchen“ aus der Feder des argentinisch-chilenischen Konstrukteurs Ariel Dorfman.

Chilentinien irgendwann nach der Diktatur. Ein Haus auf dem Land. Paulina lebt dort. Sie ist das Opfer grausamer Folter und hatte ihren Mann dabei doch nicht verraten. Er, Gerardo, lebt auch dort. Inzwischen ist er als Anwalt in einer Kommission zur Aufdeckung von Meschenrechtsverletzungen tätig. Er verdankt Paulina sein Leben und wird noch in jedem ihrer Nervenzusammenbrüche daran erinnert. Auftritt Roberto Miranda, der freundliche neue Nachbar. Doch Paulina erkennt an seiner Stimme ihren Folterer wieder und will ihm auf der Stelle den Prozeß machen.

Mit dieser explosiven Mischung entwirft Ariel Dorfman das ganze Drama vom Leben nach der Diktatur. Wie in einem Thriller hält er die eigentliche Schuldfrage bis zum Schluß in der Schwebe und lädt dadurch die Hauptthemen Recht, Gerechtigkeit oder Rache, Schuld und Sühne um so mehr auf. Immer wieder und schon fast zu oft taucht Dorfmans „Der Tod und das Mädchen“ deshalb auf Theaterspielplänen auf. Vor ein paar Jahren war es in einer bühnenbildnerisch aufwendigen Versuchsanordnung im Concordia zu sehen. Kurz darauf kam Polanskis Verfilmung in die Kinos. Jetzt hat sich das Chinelo-Theater des Abiud A. Chinelo mit den Gästen Maria von Bismarck und Pago Balke unter der Leitung Jochen Biganzolis daran gemacht.

Biganzoli und Co. setzen in der chronischen Finanznot der freien Bremer Theater ganz auf den Plot, ganz auf das Schauspielerische. Chinelo, der als Roberto Miranda einmal aus voller Brust ein canzon muy traurico singen darf, ist dabei für das Physische zuständig. In den 90 Minuten Schauspiel ist er fast immer gefesselt. Oft ist ihm der Mund verklebt. Und einmal erstickt er fast an einer über seinen Kopf gezogenen Plastiktüte. Trotz oder gerade wegen dieser Handicaps erzeugt Chinelo auf dem heißen Stuhl des privaten Tribunals allein durch seine körperliche Präsenz Spannung. Maria von Bismarck erspielt sich zwischen Opfertrauma, der Sehnsucht nach Normalität und der plötzlichen Macht zur Rache die vielen Facetten ihrer Rolle. Nur Pago Balke zeigt den Gerardo abgesehen von einigen Wutausbrüchen wohl zu sehr als Biedermann. Er müßte viel mehr an seinen Loyalitäten zweifeln und stellvertretend für das Publikum darum ringen, wer nun Recht hat und wer nicht.

Egal. Denn unterm Strich steht eine handwerklich saubere mit technisch einfachen Mitteln realisierte und weit mehr als redlich gut gespielte Dorfman-Inszenierung. Das von drei Seiten um das Geschehen plazierte Publikum dankt bei der Premiere laut und lang. Und die Frage, warum sich eine freie Theatergruppe ein ziemlich abgespieltes Stück wie „Der Tod und das Mädchen“ vornimmt, beantworten wir beim nächsten Mal.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 2., 4., 5. Juni um 20 Uhr, 3. Juni um 9 Uhr im Lagerhaus Schildstraße; 23., 24. und 25. Juni um 20.30 Uhr sowie am 24. Juni auch um 11 Uhr im Theaterhaus Schnürschuh