Orientalismus oder Dichtung und Vögeln

■ Der arabische Dichter Adonis und Durs Grünbein und ihre vielen Worte zur Liebe

Liebe ist nicht nur ein Wort. Liebe ist etwas ganz anderes. Etwas Höheres, was nicht nur auf Leidenschaft und Schwärmerei beruht, sondern auch auf Vertrauen. Auf Glauben. Aphrodite etwa liebte den schönen Jüngling Adonis so sehr, daß sie aus seinem Blut eine Blume sprießen ließ, um ihn allegorisch als sterbende und wiedererwachende Natur zu verewigen. „Liebe ist Existenz“, schlußfolgerte deshalb der syrisch-libanesische Schriftsteller Adonis alias Ali Said Samstag abend auf der Diskussionsveranstaltung zum Thema „Liebe ist nur ein Wort – zur Sprache und Bilderwelt in interkulturellen Übersetzungen“. Zahlreiche arabische und deutsche Besucher des Hauses der Kulturen der Welt ließen die Sonne Sonne sein, um sich liebestaumelnd der Lyrik Durs Grünbeins und Adonis' hinzugeben. Statt Hitzeschock also „Schock der Moderne“?

Adonis, 1930 in Syrien geboren, gilt als Vorreiter einer arabischen Moderne, die die traditionelle Rolle des arabischen Dichters als Lobredner Gottes verweigert und gegen eine erstarrte poetische Sprache rebelliert. Um seine Universalität – „Gott ist tot“ – zu demonstrieren, borgte sich Ali Said den Namen eines heidnischen Halbgottes und kreierte mit seinen „free verses“ eine neue fragmentarische Lyrik, die der konventionellen Metrik entgegensteht. Phönezisches kulturelles Erbe und europäische literarische Moderne à laT. S. Eliot und Louis Aragon durchdringen sich in seinen Gedichten. Adonis, ein kleiner und schmächtiger Mann, trägt sie mit einer Inbrunst auf Arabisch vor, als wären sie die monumentalsten, gefühlvollsten und verzaubertsten Schöpfungen unserer Tage. Obwohl man nichts versteht, fiebert man richtig mit; Augen, Hände und Ohren beginnen zu zerfließen. Nur Thomas Hartmann, Mitbegründer der taz und Organisator der Reihe „Entwürfe 2000 – Kulturen im Dialog zwischen Tradition und Moderne“, schnarcht in diesem Moment völlig unschokkiert vor sich hin. Tatsächlich empört die Poesie von Adonis wenig, nachdem man sie in der Übersetzung von Stefan Weidner gehört hat. Die Metaphern erweisen sich als universell; als ein Echo der Mystik. Worte wie „Frau und Mann, Mann und Frau“, die dem deutschen Zuhörer phrasenhaft erscheinen, besitzen im Arabischen eine besondere Schwerkraft. Sie versinnbildlichen die Liebe, die jegliche Basis bildet, auch für den Glauben an Gott. „Die Frau ist die einzige Konkurrentin zu Gott, deswegen wird sie verschleiert“, resümiert Adonis humoristisch die Bedeutsamkeit des zweigeschlechtlichen Eros. Spätestens da öffnet sich der Graben zwischen der östlichen und westlichen Welt, der ein scheinbar unüberwindliches Hindernis des verbalen und kulturellen Verständnisses darstellt. Was für die Araber „modern“ ist, klingt in deutschen Ohren, wohl auch denen Durs Grünbeins, nahezu traditionell.

Wo wir uns schon so ans „Vögeln“ gewöhnt haben! „Après l'amour“ heißt Grünbeins neues Gedicht, und er übersetzt die Liebe ins Französische, denn Liebe ist im Deutschen nur ein Wort, im Arabischen hingegen hat sie viele Wörter. Katja Hübner