Paradiesisch: Gewerbegebiet für Nachtigallen

■ Die Europäische Union versteht Berlin bis tief ins nächste Jahrzehnt als geteilte Stadt. Vor allem der Osten zählt zu den förderbedürftigsten Gebieten. Doch wo steckt das Geld der EU?

Nicht das Brandenburger Tor, nicht die Fontänen davor, nicht der Blick hinunter auf die Prachtstraße Unter den Linden, nein, ein Schild hat Maria-Luise Löper neulich fast begeistert. Es steht am Rande des Pariser Platzes und verkündet trocken: Die Begrünung des berühmten Platzes ist finanziert worden von der Europäischen Union – „ach“, seufzt die nüchterne Frau, als sie das erzählt, und findet kurzzeitig nicht die rechten Worte, das habe sie doch sehr gefreut.

Maria-Luise Löper ist die Leiterin des Büros des Landes Berlin in Brüssel, bei einer Institution, die viel tut in der Hauptstadt, aber kaum wahrgenommen wird: der Europäischen Union (EU). Die Staatengemeinschaft hat der Hauptstadt seit 1994 und noch bis Jahresende mehr als 2,3 Milliarden Mark zur Verfügung gestellt – genauer ist das nicht zu beziffern, denn, wie auf fast alles in der EU, gibt es auf die Frage, wieviel Geld eigentlich „Brüssel“ an Berlin gezahlt hat, keine einfache Antwort. Klar ist nur: Berlin ist etwas ganz Besonderes in der Gemeinschaft. Denn zehn Jahre nach dem Mauerfall ist die Metropole in den Augen der Eurokraten immer noch eine geteilte Stadt. Das wird die Hauptstadt auch bis 2005/6 bleiben, und es gereicht ihr zum Vorteil.

Warum, das erklärt Maria-Luise Schaper routiniert am Rande einer Podiumsdiskussion mit dem sexy Titel „Zur Reform des Finanzrahmens und der Strukturfonds“, organisiert von der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin und dem Europäischen Informationszentrum im „Jean-Monnet-Haus“ an der Bundesallee. Die EU fördert aus vier großen Töpfen, den sogenannten Strukturfonds, Regionen, Menschen und Branchen, die Hilfe brauchen. Etwa ein Drittel aller Ausgaben im EU-Haushalt verschlingen diese Posten, gut 280 Milliarden Mark (141 Milliarden Euro). Besonders viel Geld erhalten davon Regionen, die einen „Entwicklungsrückstand“ haben, sogenannte „Ziel-1“-Gebiete. Weniger, aber immer noch viel, bekommen die „Ziel-2“-Regionen, „die von rückläufiger industrieller Entwicklung schwer betroffen sind“, wie der „Berliner Europabericht 1998“ des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) erläutert.

Berlin, so Löper, ist sowohl ein „Ziel-1“- wie ein „Ziel-2“-Gebiet: Der Ostteil wird als eine „Ziel-1“-Region begriffen, die, wie etwa eine arme Provinz in Irland, besonderer Förderung bedarf. Der Westen erhält (unter anderem) „Ziel-2“-Hilfen – rechnerisch gesehen, zahlt Brüssel so jedem Bürger und jeder Bürgerin in den östlichen Stadtbezirken 180, in den westlichen 51 Mark im Jahr.

Aus Brüssel kommt genug Knete nach Berlin

Wichtig zu wissen: Berlin bekommt bis Jahresende etwa doppelt so viele jährliche Mittel wie im Förderzeitraum 1991 – 93. Bis 2005/6 muß man mit kaum weniger Brüssel-Knete auskommen. Und Ostberlin gehört übergangsweise noch etwa sechs Jahre zu den am stärksten geförderten Gebieten in Europa, zu den „Ziel-1“-Regionen, in die zwei Drittel der Strukturfondsmittel fließen. Hinzu kommen etwa 200 Millionen Mark als „Sonderdotation“ zur Bewältigung des Umstrukturierungsprozesses im Osten.

Doch wie sieht die Hilfe konkret aus? In der Stadt gebe es „unendlich viele Projekte“, die von der EU gefördert würden, so betont der Berliner Staatssekretär Gerd Wartenberg, Europabeauftragter des Landes – genauer kann er das ohne aufwendigste Recherche nicht sagen. Das ist nicht seine Schuld, da die EU neben den Strukturfonds mehr als 200 Förderprogramme (manche sprechen gar von 1.200) hat, aus denen Geld fließt. Hinzu kommt, daß viel Geld, etwa von Berliner Firmen, direkt in Brüssel beantragt wird, ohne daß das Land davon etwas mitbekommt – das ist anders bei den Strukturfondsmitteln: Sie werden über die örtliche Behörden ausgeschüttet, und auch nur dann, wenn zur Finanzierung eines Projektes in der Hauptstadt neben der EU-Kohle auch Geld aus dem deutschen Säckel hinzukommt: „Kofinanzierung'' nennt man das.

In Berlin konnte Brüssel so etwa die Errichtung eines „Ökozentrums für Jugend und Beruf'' in Neukölln mit über 2,1 Millionen Mark fördern. Doch auch ganz kleine Projekte sind dabei: etwa Hilfe für die Entwicklung und die Pilotserie einer recyclingfähigen Pappverpackung für CDs. Die Eurokraten genehmigten dafür 4.880 Mark, wie die Publikation „Europa vor Ort“ der EU-Kommissions-Vertretung in Berlin schreibt. Viel Geld aus Brüssel geht auch in die Qualifikation Arbeitsloser, Jugendlicher oder Frauen sowie in die Förderung von Wissenschaft und Kultur. „Es wurde festgestellt“, so der Europabericht, „daß der Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen ohne die Aufwendungen aus den Europäischen Strukturfonds in den Jahren 1993 bis 1996 um 9 bis 13 Prozent höher ausgefallen wäre.“

Also alles eitel Sonnenschein? Natürlich nicht. Hartwig Berger, Europaexperte der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, verweist etwa auf eine Erschließungsstraße für ein Gewerbegebiet in Tempelhof – ein „Naturparadies“, das derzeit eher von Nachtigallen denn von Unternehmern genutzt werde: Die Ansiedlung von Gewerbe finde einfach nicht statt. Von den 3,6 Millionen Mark, die der Senat dafür ausgegeben hat, stammten etwa 1,8 Millionen von der EU. „Es gibt sehr viele unsinnige und fragwürdige Projekte“, klagt der Grüne. Durch das Prinzip der Kofinanzierung, so erklärt Gesine Lötzsch, Europa-Fachfrau der Berliner PDS, werde leicht auf das Land ein Druck ausgeübt, Projekte zu starten, die man sonst nie oder zumindest nicht so in Angriff genommen hätte – nach dem Motto: Da wäre Geld aus Brüssel vorhanden, da müssen wir was machen.

Einen anderen Kritikpunkt hat Monika Schulz-Strelow. Sie ist Geschäftsführerin des Euro Info Centre ERIC Berlin, einer IHK-Institution, die „Brüssel für Unternehmer übersetzt“. Schulz-Strelow zufolge wendeten sich viele Unternehmen „enttäuscht ab“, wenn sie sähen, welchen „unheimlichen Aufwand“ es bedeute, von der EU Hilfsmittel zu bekommen.

Die EU läßt sich nicht wie ein Waschmittel anpreisen

Hans-Georg Gerstenlauer, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Berlin, läßt all diese Kritikpunkte kaum gelten. Wenn Politiker Brüssel „was vorlügen“ würden über einen Bedarf, der gar nicht existiere, nur um Geld zu bekommen, dann dürfe man nicht die EU für fragwürdige Projekte verantwortlich machen: „Niemand wird gezwungen, Geld auszugeben.“ Er räumt ein, daß Anträge für EU-Hilfen „nicht einfach“ seien, aber da sei man nun mal in einem „Spannungsfeld“, einerseits alles Geld ordnungsgemäß verteilen zu müssen, andererseits leicht zugänglich zu machen.

„Berlin“, so betont Andreas Apelt, der europapolitische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, „kann sich nicht beklagen.“ Bei dem Berliner EU-Gipfel im März habe Deutschland zwar insgesamt verloren, die Hauptstadt aber sei als „Gewinner“ aus dem Kampf um die Subventionen herausgekommen.

Berlin lebe von fremden Geld. Deshalb verstehe er auch nicht, daß die EU bei manchen in der Stadt schlecht dastehe und viele klagten, daß Deutschland soviel Geld netto in die EU-Töpfe zahle. Denn: „Wir sind eigentlich Nutznießer der EU.“

Die Gemeinschaft , so betont ihr Berliner Repräsentant Gerstenlauer am Ende, könne man eben „nicht anpreisen wie ein Waschmittel“ – aber etwas mehr als eine Reihe von Podiumsdiskussionen und ein paar Schilder wie auf dem Pariser Platz dürfte es schon sein. Philipp Gessler