Neuvilles selbstversunkener Abschied

■ Gerettet: Hansa Rostock entkommt dank Hütchenschmeißer Majak und darf dem Osten auch künftig Erstklassigkeit verleihen

Bochum (taz) – Irgendwann, das Spiel war lange abgepfiffen, stand Oliver Neuville auf dem Rasen des Bochumer Ruhrstadions, wie verlorengegangen zwischen einer Handvoll pausierender Kamerateams und Fotografen. Sein schmächtiger Oberkörper war nackt, um den Kopf war ein dicker Verband gewickelt, der eine notdürftig geflickte Rißwunde am linken Ohr schützte.

Da stand er also wie ein kleiner, erschöpfter Krieger, dem im Trubel der Siegesfeier seine Schar abhanden gekommen war. Es war sein letztes Spiel für den FC Hansa Rostock gewesen. Er hatte es nach früher Verletzung durch einen unglücklichen Fußtritt mit letztem Einsatz absolviert. Er hatte mit einem letzten Tor und einer letzten Vorlage geholfen, dem einzig ostdeutschen Bundesligaverein den Abstieg zu ersparen. Deshalb sangen jetzt auf der anderen Seite des Stadions ein paar tausend Fans immer und immer wieder „Hoch solln sie leben“, während ein Kordon von Polizeibeamten mit martialischer Präsenz die Ungestümsten unter ihnen vom Stürmen des Platzes abhielt. Sie hatten es also doch noch geschafft.

Mitte März, als Andreas Zachhuber die Nachfolge von Cheftrainer Ewald Lienen antrat und seine erste Partie gleich verlor, schien Rostock ein risikoloser Abstiegstip. Aber sie wehrten sich und sammelten beharrlich Punkt für Punkt. Auch in Bochum fing es gut an. Doch in der zweiten Halbzeit ließ sich die Mannschaft in die Defensive drängen, wie gelähmt vor Angst. Und als der VfL Bochum mit einem Tor von Kuntz (71.) die Führung durch Neuville (37.) ausglich und drei Minuten später Peschel per Freistoß gar das 2:1 erzielte, da war nach Lage der Dinge Rostock der Verlierer des Fernduells gegen den Abstieg.

Ob die Mannschaft wußte, wie es um sie stand, darüber gab es später unterschiedliche Meinungen. Zachhuber sagte: nein. Peter Wibran erinnerte sich, nach dem Ausgleich durch Victor Agali (77.) einen Hinweis von der Bank wahrgenommen zu haben, daß dieses 2:2 nicht reichen würde. Slawomir Majak wußte Bescheid. Bis er in der 78. Minute zum Einsatz kam, wurde er wie alle auf der Rostokker Bank vom radiohörenden Ersatztorwart Perry Bräutigam auf dem laufenden gehalten.

Majak also. Vor einem Monat hatte er nach einer Auswechslung mit einem Markierungshütchen nach seinem Trainer geschmissen, war erst suspendiert, dann reaktiviert worden. In der 80. Minute flankte Neuville auf Majak, der rettete Rostock mit dem 2:3 den Klassenerhalt. Zehn Minuten später, im großen Freuden-Tohuwabohu, warf er die Heldenkluft bis auf die grüne Unterhose in die Fankurve, Agali spritzte Sekt herum, Co-Trainer Juri Schlünz knipste mit einer Pocketkamera Erinnerungsfotos und sogar der prosaische Zachhuber ließ sich hinreißen, mit seinem Geburtstagsblumenstrauß in die Kurve zu winken.

Und irgendwann, die Spieler waren längst in der Kabine und bei Bochumer Bier angekommen, sammelte auch jemand Oliver Neuville ein, der, an eine Bande gelehnt, selbstversunken Abschied von Hansa Rostock nahm. Katrin Weber-Klüver

VfL Bochum: Ernst – Sundermann (38. Peschel), Waldoch, Fahrenhorst, Toplak – Zeyer, Schindzielorz (46. Michalke), Hofmann – Gaudino (58. Kuntz), Bastürk – Buckley

Hansa Rostock: Pieckenhagen – Ehlers (67. Holetschek), Weilandt, Rehmer – Yasser (78. Ramdane), Emara, Breitkreutz, Wibran, Lange (78. Majak) – Neuville, Agali

Zuschauer: 20.350; Tore: 0:1 Neuville (37.), 1:1 Kuntz (70.), 2:1 Peschel (73.), 2:2 Agali (77.), 2:3 Majak (82.)