„Unfaßbar, wie toll die sind“

200 Musicalstars von morgen tanzen und singen in Hamburg vor. Beim Auftakt der viertägigen Auswahltests war  ■ Judith Weber

Das ist Christelle. Blaß steht sie vor der vergilbten Wand; die Hektikflecken am Hals leuchten so rosa wie der Lippenstift. Dann kommt Eva, ein Bein lässig angewinkelt, Siegerlächeln auf den Lippen. Und Juliane. Und Rainer. Und Thomas. Die Kamera klickt und klickt. Ein Blitz und noch einer, und „der nächste bitte“. An Karteikarten geheftet werden die Polaroids später auf dem Tisch der Jury liegen. In der Akademie der Hamburger Stella-Studios sind sie Paßbild und Bewerbungsfoto zugleich, Daseinsberechtigung für einen Tag.

Auf den Fluren der ehemaligen Schule auf St. Pauli riecht es wie in einer Turnhalle während der Bundesjugendspiele. Deo mischt sich mit Parfum und frischem Schweiß. 200 TänzerInnen und SängerInnen sind gekommen, um ihr Können zu zeigen und um engagiert zu werden für die Musicals „Freak Out“ und „Shout“, die beide in Hamburg gezeigt werden. „Außerdem suchen wir Leute für Events“, erklärt Eckhart Koch, der bei den viertägigen „Auditions“, den Auswahltests, die Fäden in der Hand hat. Koch ist „Company Manager“ bei „Stray Productions“. Das Unternehmen konzipiert und produziert Shows, Galas, Messen oder eben Musicals. „Wer will in die Fußspuren von Fred Astaire und Liza Minelli treten?“ warb die Firma in Hamburg.

Eva will. „Ein festes Engagement irgendwann, das wäre das tollste“, schwärmt die Tanzschülerin, die eigens aus Frankfurt angereist ist. Doch so ein Job liegt noch in weiter Ferne. Erstmal wird sie die Tanzakademie beenden und bei Auditions wie der in Hamburg Erfahrungen sammeln. „Das macht irre Spaß. Hier sieht man Leute – nicht zu fassen, wie toll die sind.“ Da macht es nichts, daß Eva selbst „noch nicht so weit ist“, um bei den Steptanz-Tests mitzumachen.

Sie beschränkt sich auf die Vorbereitung, auf das gemeinsame Einstudieren der Choreographie. Eng aneinander gedrängt machen gut 60 Männer und Frauen die Schritte nach, die Vortänzer Jeremy erklärt. Die meisten tragen Turnschuhe; Steppsohlen sind erst später erlaubt. Die Arme vorgestreckt, trippelt die Gruppe fast lautlos vor und zurück, wie ein Ameisenvolk, das etwas sehr Großes und Totes von hier nach dort transportieren möchte. Mit Musik und den knallfroschartigen Geräuschen der Stepschuhe unterlegt gewinnt das tänzelnde Chaos jeodch an Dynamik. Hörbar still sind die Pausen zwischen den Schritten, selbst geschnauft wird im gemeinsamen Takt.

Katja sitzt in Jeans und Pulli am Rand und drückt die Daumen. „Der mit der gestreiften Hose, in der letzten Reihe, das ist Frank“, ihr Freund. Zusammen sind die beiden aus Wuppertal nach Hamburg gefahren – „um halb vier aufstehen, furchtbar“ –, weil der Tanzlehrer sich bei Stray Productions vorstellen wollte. Ob er erfolgreich war, wird er erst später erfahren. „Wir hören von denen“, erklärt Rainer aus Berlin im Rausgehen einigen Audition-Neulingen. Der Tänzer, der gerade ein halbes Jahr mit dem Musical „Die Schöne und das Biest“ auf Tour war, weiß, wie das läuft: Er hat schon Dutzende dieser Zeremonien mitgemacht.

Entschieden wird frühestens in einigen Tagen, denn heute, morgen und übermorgen finden noch die Gesangs-Tests statt. Schließlich sollte ein Musical-Star im Idealfall alles können: singen, steppen und tanzen.