: Krieg als Gesellschaftszustand
Eröffnung eines Politikums: Die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ ist wieder in Hamburg ■ Von Karin Flothmann
Feldpostbriefe enthalten manchmal unbequeme Wahrheiten. „Bis jetzt haben wir zirka 1000 Juden ins Jenseits befördert, aber das ist viel zu wenig, für das, was die gemacht haben“, schreibt ein Wehrmachtssoldat 1941. Er ist Angehöriger der 6. Armee, die zwei Jahre später im Kessel von Stalingrad untergehen wird. Auf ihrem Vormarsch gen Osten war auch diese Armee, die später in Büchern und Filmen zum heroisch-tragischen Mythos stilisiert wurde, aktiv am Vernich-tungskrieg der Wehrmacht beteiligt. Juden seien „die einzigen Stützen der Partisanen“, schreibt der Wehrmachtsbefehlshaber Ostland am 18. Oktober 1941. „Ihre Vernichtung ist daher rücksichtslos durchzuführen“, lautet sein Befehl.
„Krieg ist ein Gesellschaftszustand“, sagte Jan Philipp Reemtsma gestern im Schauspielhaus zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. „Direkt präsent ist der Krieg in den Geschichten, die von ihm erzählt werden.“ Die Dokumentation seines Hamburger Instituts für Sozialforschung, die ab heute bis zum 11. Juli in der Akademie der Künste zu sehen ist, zeigt solche Geschichten auf – erzählt in Feldpostbriefen, Befehlen, aber auch auf Schnappschüssen von Ermordeten oder Menschen, die vor einem Massengrab auf ihre Hinrichtung warten. Die Wehrmacht, so belegen diese und weitere Dokumente, war eine verbrecherische Organisation.
„Eine große Mehrheit der Soldaten, die von 1941 bis '43 in Rußland oder auf dem Balkan waren, dürfte von diesen Verbrechen gewußt haben“, konstatierte gestern der Historiker und Leiter der Ausstellung, Hannes Heer. Ursprünglich wurde die Dokumentation des „Vernichtungskriegs“ für einen kleinen Kreis interessierter Wissenschaftler konzipiert. Doch die Ausstellung entwickelte sich in den vergangenen vier Jahren mit mehr als 800.000 Besuchern zum Publikumsrenner. „Die Geschichte der Wehrmacht und ihrer Verbrechen wurde zurück in die Familiengeschichte geholt“, resümiert Heer. Kinder suchten nach Spuren ihrer Väter, Enkel nach denen ihrer Großväter. Die Ausstellung, so bilanziert Heer, habe somit gezeigt, daß es unmöglich sei, einen Schlußstrich unter die NS-Zeit und ihre Verbrechen zu ziehen. „Die Vergangenheit wird lebendig bleiben.“
„Die Ausstellung hat sich zum Politikum entwickelt“, befand auch Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss (parteilos) im Schauspielhaus. Inzwischen seien Kontroversen und Demonstrationen um die Ausstellung fast genauso wichtig wie ihr Gegenstand selbst. Die heftigen Reaktionen seien der beste Beweis dafür, „daß unsere Gesellschaft die Ausstellung brauchte und braucht“.
Hamburg wird dennoch die letzte Stadt sein, in der die „Verbrechen der Wehrmacht“ in der Verantwortung des Instituts für Sozialforschung gezeigt werden. „Spätestens in dem Moment, wo uns Briefe an das Wehrmachtsinstitut erreichen“, meint Hannes Heer, sei es Zeit, die Verantwortung weiterzugeben. Künftig wird die Ausstellung daher von einem Verein getragen, zu dessen Kuratorium unter anderem Ignaz Bubis, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, der frühere SPD-Vorsitzende Hans Jochen Vogel und SPD-Innenminister Otto Schily gehören.
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