Die Faszination der Klangerfindung

■ Aus dem Studio für elektronische Musik an der HfK sollen jetzt einmal im Monat Klänge das Publikum beschallen

Der Komponist Ferruccio Busoni war 1906 der Meinung, daß „die Entfaltung der Tonkunst an unseren Musikinstrumenten scheitern wird“. Diese recht präzise Vorahnung einer elektronischen Musik formulierte der Komponist Pierre Boulez 1955: „In der Geschichte der Musik gibt es wohl kaum eine Situation, in der der Musiker an einer so radikalen Aufgabe teilgenommen hat: Die Erschaffung des Klanges selbst.“ Heute ist im Alltag Computermusik allgegenwärtig. Im Verhältnis dazu wissen aber nur wenige KonzertbesucherInnen, welchen Stellenwert die elektro-akustische Musik seit den fünfziger Jahren für die Erschließung kompositorischen Neulandes eingenommen hat. Elektronische Studios entstanden im Zusammenhang mit den Studiengängen für Komposition an den Hochschulen für Musik. Das größte hat heute die Musikhochschule in Essen. Doch auch für StudentInnen an der Bremer Hochschule für Künste (HfK) steht ein Studio zur Verfügung, dessen Möglichkeiten fortan in einer neuen Konzertreihe auch der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden.

„Die Mehrzahl unserer Studenten interessiert sich ausschließlich für historische Musik oder als Komponist hauptsächlich für akustische Musik“, weiß die Professorin für Komposition an der Hochschule, Youghi Pagh-Paan. Doch: „Wir müssen auch das Angebot machen, in die faszinierende Welt der elektronischen Computermusik eindringen zu können.“ Pagh-Paan hat konsequent weiterentwickelt, was andere begonnen hatten: Da wurde – auf Anregung des Komponisten Erwin Koch-Raphael – zunächst ein sogenannter NEXT-Computer angeschafft, der so etwas wie ein erster Anstoß für die grundlegende Ausstattung an der Hochschule wurde. Man kann an diesem Computer aufgenommene Klänge bearbeiten, synthetische Klänge herstellen und Live-Elektronik komponieren. Das ist im Unterschied zum produzierten Band die elektronische „Antwort“ auf instrumentale Passagen, die in jeder Aufführung neu zu realisieren ist. Es gibt außerdem ein voll ausgebautes Aufnahmestudio.

Inzwischen schreibt die Studienordnung während des ganzen Studiums den Besuch der Seminare im elektronischen Studio vor, und das läßt natürlich Werke entstehen. Es sind Werke, die in der ästhetischen Konzeption den selben Stellenwert haben wie die für Instrumente oder Stimmen. „Es ist ein Instrument“, sagt Georg Bönn, Lehrbeauftragter an der Hochschule und zusammen mit dem Tontechniker Gerd Anders zuständig für die Ausbildung, „und schwer zu erlernen.“

„Ohne kompositorische Ideen und Konzeptionen nutzen die Apparate nichts“, so der Student Joachim Heintz. Er zeigt eine sorgfältig geschriebene Partitur, die sich von traditionellen nur dadurch unterscheidet, daß sie keine Notenlinien enthält, dafür die Stellung der acht Lautsprecher im Raum und natürlich die technischen Daten für die Klänge. „Unser wichtigstes Arbeitsmittel ist aber auch hier nach wie vor der Bleistift und der Radiergummi“, so Younghi Pagh-Paan. Auf die Frage, ob die Entdeckungsfreude neuer Klänge sich nicht verselbständigen kann, sagt Christoph Ogiermann: „Es gibt die Gefahr, daß zu wenig über Inhalte und zuviel über die technischen Möglichkeiten nachgedacht wird.“ „Das gilt aber genauso für die Instrumental- und Vokalmusik“, ergänzt Younghi Pagh-Paan.

Neuerdings ist in Zusammenarbeit mit den bildenden Künsten das „Atelier für Zeitmedien“ entstanden, das durch eine Professur des Franzosen Jean Francois Guiton betreut wird. Die noch neue Videokunst kann mit der Welt des Klanges verbunden werden. Alle Beteiligten möchten ganz normalen KonzertbesucherInnen mehr von dem vorzeigen, was sie da machen. Einmal im Monat tritt das „Studio für elektronische Musik“ nun mit Konzerten an die Öffentlichkeit, wobei auch regelmäßig die „Klassiker“ der elektronischen Musik wie Stockhausen, Cage, Nono u.v.a. mit Schlüsselwerken einbezogen werden sollen: „Die Realisierung einer elektronischen Partitur ist genauso anspruchsvoll wie die Interpretation eines Instrumental- oder Vokalwerkes“, sagt Georg Bönn. Ute Schalz-Laurenze

Konzert am 2. Juni, 20 Uhr in der HfK, Dechanatstraße: Helmut W. Erdmann macht Musik mit Flöte und Live-Elektronik