: Verkehrte Welt beim Schülerlob
■ Bildungssenatorin ehrt SchülerInnen für Engagement gegen Abwicklung ihrer Schule – und wickelt diese selbst ab
In einem Pulk haben sich gestern vormittag SchülerInnen in den Festsaal des Bremer Rathauses gedrängelt – mittendrin haben Huckelrieder SchülerInnen ihre Schule symbolisch in einem Sarg zu Grabe getragen. Sie machen die Bildungssenatorin für den Tod ihres Schulzentrums (SZ) Huckelriede verantwortlich. Zu einem Empfang ins Rathaus eingeladen hatte Senatorin Bringfriede Kahrs (SPD) aus einem anderen Grund: Sieben Schulprojekte sind beim Bundeswettbewerb „Demokratisch Handeln“ ausgezeichnet worden – darunter auch die SchülerInnen des SZ Huckelriede. „Ein Superergebnis für Bremen“, hob Kahrs in ihrer Ansprache herhor. 55 Schulprojekte sind von der Wettbewerbsjury nach Berlin eingeladen worden, sieben kamen aus Bremen. Insgesamt haben sich 160 Projekte aus dem gesamten Bundesgebiet beteiligt.
Zwei Schüler der integrierten Stadtteilschule am Leibnizplatz zeigten den Gästen im Rathaus, wofür sie ausgezeichnet wurden: zu fetziger HipHop-Musik wirbelten sie ihre Diabolos mit Bravour durch die Luft. Ihr Projekt heißt „Vom Schulcircus zur Circusschule“. Nicht Zirkus, sondern Theaterspiel ist für zwei weitere Schulprojekte das gewählte Medium gewesen. „Anti-Toxin“ heißt das Nordbremer Schülerkabarett, das ebenfalls eine Kostprobe zum Besten gaben: In einem Zukunftszenario stellt die Schulleiterin einen Sozialhilfeempfänger für zwei Mark die Stunde ein – nicht ohne ihn zuvor herunterzuputzen, ob er denn am „Multiple-Kahrs-Syndrom“ („das bremische Wort für völlige Verblödung“) leide. Der Beschimpfte ist ein ehemaliger Lehrer der Schule, der vor Jahren nicht für 630 Mark ohne Absicherung arbeiten wollte. Auch die Grundschule am Pulverberg im Stadtteil Walle ist ausgezeichnet worden: Die Kleinen haben sich im Theaterspiel mit ihrem Alltag auf dem Schulhof beschäftigt – dort bekommen selbst die Pimpfe eins auf die Nase, Gerangel und Pöbeleien sind an der Tagesordnung. In ihrem „TanzTheater“stück „BuntGemischt“ ist das Anderssein Thema: 16 deutsche und sechs ausländische Kinder spielen „Blaukarierte, Rotgetupfte, Gelbgefleckte und Schwarzweiße“.
Das Projekt des Kippenberg-Gymnasiums lobte Bringfriede Kahrs als Vorzeigeprojekt, das Bremen schmücke: Seit vier Jahren hilft dieses Projekt mit Geldspenden Schülerinnen und Schülern in Nepal. Mit den bei Schulfesten und Aufführungen gesammelten Spenden zahlen sie das Schulgeld der nepalesischen Kinder, so daß diese länger in der Schule bleiben können. Dies schützt sie vor Werbern für Bordelle.
Das Schulzentrum Findorff hat seine zehnjährige Kooperation mit einer Schule für geistig Behinderte zum Anlaß für einen Rückblick genommen. SchülerInnen haben ein Jubiläum vorbereitet und damit ihr Projekt veröffentlicht.
In die Politik mischten sich die SchülerInnen des SZ Walliser Straße: Sie simulierten die Bundestagswahl. Dadurch leisteten sie nicht nur einen Beitrag zur Wahlforschung, sondern erhöhten die Wahlbeteiligung der wahlberechtigten SchülerInnen um 20 Prozent, wie die Kulturbehörde mitteilt. Die Huckelrieder SchülerInnen wollten auch beim Rathaus-Empfang ihr demokratisches Handeln nicht aufgeben. Sie sind für die Dokumentation ihrer Protestaktionen und ihres Einsatzes für den Erhalt ihrer Schule prämiert worden. Als Bringfriede Kahrs den Erfolg der Projekte lobt – „Ich freue mich, daß auch die Themen Bremen schmücken“ – brechen die Jugendlichen in lautes Gelächter und Gebrüll aus. Ihr Sprecher Daniel Günther bringt ihr Resümee auf den Punkt: „Wir waren nicht erfolgreich, wir haben gezeigt, was Demokratie in der Bundesrepublik bewirkt.“ Wütend und unter Beifall wirft er der Großen Koalition vor, nur das zu tun, was sie wollen. „Wie soll das denn weitergehen? Werden wieder Reformen im Sande verlaufen? Werden wieder Schulen verkauft, um Haushaltslöcher zu stopfen?“ Die Senatorin hätte versprochen, daß die SchülerInnen keine Nachteile hätten und noch die letzten zwei Jahrgänge im SZ Huckelriede auslaufen könnten. Doch nun werden sie in die Neustadt verlegt, wo sie nachmittags Unterricht haben, vier Kilometer bis zum Sportunterricht und ganz neue Lehrer. Den Vorwurf der Lüge wollte Senatorin Kahrs nicht auf sich sitzen lassen und stellte heraus – sie habe solch ein Versprechen nicht gegeben. juf
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