Noch herrscht Ruhe bei den Kurden

■ 250 KurdInnen demonstrierten gestern friedlich vor der Bürgerschaft. Sie wollen „Freiheit für Öcalan“ / Unterdessen fordern nationalistische Türken die Todesstrafe für den PKK-Chef

„Totmachen. Apo totmachen“, sagt der grauhaarige Mittfünfziger entschieden. Überhaupt hält der Türke, der vor der Arbeitslosigkeit 20 Jahre bei Lloyd Dynamo gearbeitet hat, wenig von Kurden. „Verbrecher und Dealer, die man aus Deutschland nicht mal abschiebt“, schweift er vom Gespräch über den Prozeßbeginn gestern gegen den Chef der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, ab.

Ein paar Zuhörer, die wie er schon mittags in das kleine Ladenlokal der ultra-nationalistischen Grauen Wölfe in einer Neustädter Seitenstraße kamen, um Tee zu trinken, zu rauchen und zu spielen, nicken. Einer hält das türkische Massenblatt Hürriyet hoch. „Ein Terrorist“, sagt er und schlägt Seite drei auf. Dort grinst den LeserInnen ein kleines, etwas feist geratenes, grinsendes Öcalan-Konterfei entgegen – dazu ist das vielfach vergrößerte Foto von einem Kinderleichnam montiert, dessen klaffende Schußwunde so groß erscheint wie Öcalans Kopf. „Muttis Herz ist ruhig, wenn Öcalan stirbt“, sagt der Mann. Die Opfer der PKK müßten Gerechtigkeit erfahren. Sein eigenes Herz aber bliebe auch nach einem Todesurteil voll Sorge: „Geht ein alter Apo, kommt ein neuer Apo“, sagt er. Apo – die Abkürzung des Männervornamens Abdullah.

Allerdings sieht auch der Nationalist: Mit einem Todesurteil gegen Öcalan würde das Problem mit den Kurden in der Türkei nicht gelöst – wobei das Problem aus seiner Sicht der bewaffnete Kampf der Kurden ist, bei dem „viele arme türkische junge Männer“, die zur Armee gezogen wurden, sterben mußten. Er berichtet, daß kurdische Separatisten ganze Dörfer überfallen und die Bevölkerung ermordet haben, und er weiß auch von anderen Anschlägen der Separatisten auf unschuldige Zivilisten. Kurdische Opfer kommen in seinen Betrachtungen nicht vor. Nur ein jüngerer Tischnachbar fällt ein: „Man muß Öcalan leben lassen. Auf ihn hören die Leute. Wenn es Frieden geben soll, muß es Arbeitsplätze in der Osttürkei geben.“ Schließlich lenkt die Runde ein: „Nicht alle Kurden sind gleich.“ Sogar Öcalan habe ja schon geäußert, er sei „türkisch und kurdisch“, erinnern sich an die gestammelten Worte des gefesselten Kurdenführers vor rund fünf Monaten, die weltweit durch die Medien gingen. „Heute hat er sich vor dem Gericht entschuldigt für seine Verbrechen“, sagt ein Alter.

Die Männer in der kurdischen Moschee in der Falkenstraße haben die kurze Einblendung Öcalans im türkischen Staatsfernsehen zum gestrigen Prozeßauftakt ganz anders verstanden. „Nach meiner Meinung hat er gesagt, man kann ihn töten, aber die Kurdenfrage wird damit nicht gelöst“, sagt ein 35jähriger Kurde nachdenklich. „Was wir hier zu sehen bekommen, das ist doch alles zensiert“, sagt er. Im Vorraum zum Gebetsraum sitzen nur wenige Männer. „Die demonstrieren auf dem Marktplatz.“ Dann kommt der Geistliche vom Gebet. „Die Türkei ist kein demokratischer Staat“, sagt er. Die meisten der acht Männer im verrauchten Raum – der jüngste um die 30, der älteste über 60 – haben ihre Asylanträge noch laufen; nur einer ist als politischer Flüchtling anerkannt. Über die Berichterstattung der türkischen Medien im Fernsehen sind sie alle empört: „Die Fernsehsprecherin selbst hat heute morgen gesagt, daß man nur solche Bilder vom Prozeß senden wird, die das Gericht freigegeben hat“, schütteln sie den Kopf. Erst am späten nachmittag, wenn der Nachfolgesender des kurdischen Med-TV auf Sendung geht, erwarten sie mehr Klarheit. Noch wirken sie ruhig. Ob Öcalan zum Tode verurteilt wird, nachdem erst kürzlich zwei Todesurteile gegen ehemalige PKK-Leute ausgesprochen worden waren, die sich von der Organisation schon losgesagt hatten? „Das weiß man nicht" sagen die Männer. Was sie wohl wissen: Falls ein Todesurteil verhängt wird, wird es große Unruhen geben.

Gestern aber blieben die kurdischen Proteste in Bremen friedlich. Zwischen den verschiedenen Wahlkampfveranstaltungen vor der Bürgerschaft war es dem Verein „Mesopotamisches Volkshaus“ gelungen, pünktlich zum Prozeßauftakt gegen Öcalan eine Kundgebung anzumelden. 250 KurdInnen, darunter viele Frauen und Kinder, folgten dem Aufruf. „Freiheit für Öcalan“ stand auf roten Bannern. Die Kinder in den Farben der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei, verteilten Flugblätter. Frauen hielten Öcalan-Fahnen in den lauen Wind. „Es gab keine Vorfälle“, hieß es in der Polizeipressestelle – und man erwarte auch keine.

Ganz anders als bei den Kundgebungen im Frühjahr, direkt nach der Verschleppung Öcalans aus Kenia in die Türkei, sitzen auch die Männer entspannt am Boden. Die Rücken an Laternenpfähle gelehnt, schauen sie in die Sonne und unterhalten sich. Nur wenn der Mann am Megaphon ruft: „Die Türkei hat kein Recht, unseren Vorsitzenden vor Gericht zu stellen“, kommt Leben in die Lagernden. „Freiheit für Apo“, rufen die Menschen und trillern. Am Rand steht Mehmet Karaboga und erklärt: „Wir hoffen, daß die Politiker hier mit uns reden.“ Nur mit internationaler politischer Unterstützung könne man eine Lösung herbeiführen. Aber viel Hoffnung hat Karaboga nicht. Zwar habe es Gespräche mit den Bremer Grünen gegeben – und vor Monaten auch mit SPD-Landeschef Detlev Albers. „Aber der hat sich nie wieder gemeldet.“ Karaboga, der von sich selbst sagt, er sei immer für Frieden gewesen, macht das Sorgen. Er selbst war im Frühjahr von zwei Unbekannten kurzfristig entführt und dann wieder freigelassen worden. Während polizeiliche Ermittlung nichts erbrachten, ist er sicher, daß er eingeschüchtert werden sollte. Aber gerade Vermittler wie er dürften sich nicht zurückziehen, sagt er. Sonst könne die Situation schnell eskalieeren. „Nur habe ich keinen Schutz“, sagt er mit Blick auf die Bürgerschaft.

ede