Alles Piefkes außer Auge

Warum der Fußballtrainer Klaus Augenthaler in Österreich Erfolg hat und keine „Aggressionsabneigung“ erfährt – anders als deutsche Kollegen  ■   Von Markus Völker

Klaus Augenthaler ist die Ausnahme. Viele deutsche Trainer haben sich in Österreich versucht. Erfolg hatten sie nicht – im Gegensatz zu Augenthaler (41). 22 Jahre war er als Spieler und Assistenzcoach den Münchner Bayern zu Diensten. „Weg vom Showbusineß“ wollte er, dorthin, wo man noch „seelenruhig arbeiten kann“.

Und landete in Graz, beim Athletikklub, seiner ersten Station als Chefcoach. Seit 1997 ist er in der Hauptstadt der Steiermark. Alle Beobachter sind voll des Lobes über seine Arbeit. Aus einem gesichtslosen Mittelklasseteam hat er einen Uefa-Cup-Teilnehmer geformt. Der GAK beendete die österreichische Meisterschaft am Sonntag mit 65 Punkten als Dritter hinter Meister Sturm Graz (73) und Rapid Wien (70). „Das hat Hand und Fuß, was der macht, aus einer grauen Maus hat Augenthaler einen Spitzenklub geformt“, sagt Sportreporter Wolfgang Wienheim vom Wiener Kurier.

Augenthaler fühlt sich wohl in der Steiermark, sagt er, weil die Mentalität der bayrischen ähnele. Und dem Piefke-Image entgeht er auch. „Piefke meint ja eher die Norddeutschen, weniger uns Bayern.“ Das Schmunzeln über den österreichischen Fußball schmerzt ihn, schließlich sieht er sich in Graz auf einer „Mission“. Er will zeigen, was Professionalität bedeutet, nämlich „ehrliche, hundertprozentige Arbeit am unbedingten Erfolg“. Augenthaler hat da natürlich kein Verständnis, wenn sich Trainerkollegen über die Grenze „abseilen“, um in Österreich, gern als Insel der Seligen apostrophiert, „alles ein bissel lockerer zu sehen“.

Bernd Krauss und Horst Hrubesch, Jürgen Sundermann und Egon Coordes haben sich neben anderen im Alpenland versucht. Sie haben sich fast alle sehr schwer getan. Bei näherem Hinsehen erweist sich die österreichische Fußballandschaft als schroff und unzugänglich. Wenig Finanzkraft, geringe Zuschauerzahlen und eine äußerst skeptische Öffentlichkeit sind die Basis der Bundesliga.

Zudem haben Zugereiste aus Deutschland die Last ihrer Herkunft zu tragen. Man spricht im Nachbarland nur scheinbar die gleiche Sprache. Dem in messianischer Erwartung hochgepumpten Erwartungsdruck sind die Deutschen selten gewachsen, zumal er oft als Vorspiel zur Demontage der Heilsbringer dient. „Abcasher“ und „Söldner“ wird dann gerufen. Augenthaler hatte es offenbar leichter. „Ich habe bisher nichts von österreichisch-bayrischer oder -deutscher Rivalität mitbekommen“, sagt der Bayer. Er ist eben bodenständig, und das kommt an in Graz. Augenthaler konterkariert das Bild vom arroganten, großsprecherischen Deutschen. Ihm scheint es gelungen, sich von den Schlingen der „Verfreundung“ zu befreien. Sozialpsychologen sprechen dabei vom Narzißmus der kleinen Differenzen oder von Gegnersymbiose und meinen damit, daß beide Nationen Unterschiede und Ressentiments pflegen, weil sie sich so ähnlich sind. Schlimm ist das nicht, wie auch schon Sigmund Freud fand. Bei dem Zwist handele es sich doch nur um eine „bequeme, relativ harmlose Befriedigung der Aggressionsneigung“.

An der Schwelle der Harmlosigkeit ist die Erregung beim österreichischen Fußballanhänger, wenn von Berti Vogts die Rede ist. „Ein echter Minusmann“, sagt Kurier-Reporter Wienheim. Als Vogts für das Amt des österreichischen Bundestrainers ins Gespräch kam, rief das Fußballvolk entsetzt: „Alle, nur nicht der!“ Vogts hatte einst als DFB-Trainer im Versuch, ein Remis gegen Rußland aufzuwerten, konstatiert, man habe schließlich nicht gegen Österreich oder die Türkei gespielt. Damit hat er sich um die Verfestigung des Vorurteils vom überheblichen Deutschen verdient gemacht. Er ist zweifelsfrei ein Piefke.

Hätte Friedel Rausch auf Vogts gehört, wäre er damals gar nicht erst beim Linzer ASK gelandet. „Bist du verrückt, da runter nach Österreich zu gehen und vor 5.000 Zuschauern zu spielen“, rekonstruiert Rausch das Telefonat mit Berti. Aber Rausch lag ein gutes finanzielles Angebot vor.

Vor drei Jahren kam er zum LASK und wurde mit „großartigen Zeitungsberichten und großen Freuden“ empfangen. Der Überschwang jedoch verkehrte sich nach ein paar Niederlagen ins Gegenteil. „Der deutsche Versager“, hat es schnell geheißen. Rausch klärt die Sache auf: Nur drittklassige Spieler habe er gehabt; die Menschen seien da „unglaublich neidisch“, und dem Fußball zolle man sehr wenig Respekt. Das motiviere kaum. Und lenke ab vom Eigentlichen. Verderben lassen hat sich der Operettenliebhaber den Aufenthalt deswegen nicht. „Ich hab' mich sehr gut erholt von den Strapazen der deutschen Bundesliga und war wieder zu neuen Taten fähig“, sagt Rausch – dessen neuest Tat darin bestand, mit dem 1. FC Nürnberg in die 2. Liga abzusteigen.

„Ich glaube schon, daß Österreich eine Adresse ist, wo man einiges bewegen kann; Augenthaler macht's vor“, räumt Wolfgang Frank ein, der Austria Wien in der Saison 97/98 auf seine Vorstellungen einschwören wollte. Aber Frank mußte erkennen, „daß selbst renommierte Vereine große Strukturprobleme und sehr wenig Geld haben“. Nach einem Jahr zog es ihn wieder zum Zweitligisten Mainz 05. Er verbucht den Trip nach Wien unter der Rubrik „Dazugelernt“. Ob er noch einmal nach Österreich zurückkehren würde? Frank: „Ich habe das Land jetzt erlebt und habe nun wirklich andere Ziele als Österreich.“

Klaus AugenthalersVertrag läuft bis 2001. Wahrscheinlich erfüllt er ihn, denn die Arbeit macht ihm „sehr, sehr viel Spaß“. Außerdem sei der österreichische Fußball auf dem Vormarsch, man müsse nur das Erfolgsmodell des Skiverbands kopieren. Wer so was sagt, hat die ungeteilte Sympathie der Österreicher sicher. Auge, der Aussöhner.