Afroromantik ade

Unter den Gewändern der Tradition lugen die Kultobjekte aus Niketown hervor. HipHop-Welle trifft Neo-Traditionalismus: Beim Africa-Festival in Würzburg wurde nicht nur viel über die Zukunft der afrikanischen Musik gesprochen, sie war auch zu hören  ■   Von Daniel Bax

Afrika ist auch nicht mehr das, was es einmal war. „Nach 22 Uhr nicht trommeln, sorry“, warnt ein großes Schild am Eingang. Außerdem müssen Hunde an die Leine, dürfen Getränke nicht ins Festivalgelände mitgebracht und auch keine Werbezettel verteilt werden. Willkommen in Würzburg.

Das Dauergetrommel von Gruppen und Grüppchen, die auf alle Sorten von afrikanischen Resonanzkörpern einschlagen, bildet trotzdem den ganzen Tag über die konstante Klangkulisse. Erst gegen Abend erstirbt pünktlich das Trommelfeuer auf dem Areal. Ordentlich geht es zu auf den Festwiesen am linken Mainufer, fast eine Spur zu ordentlich. Man hat eben schon eine gewisse Routine. Vor gut elf Jahren aus einem kleinen Folklorefest in einem örtlichen Stadtteilzentrum hervorgegangen, ist das Africa-Festival heute laut Eigenwerbung das „größte Festival afrikanischer Musik und Kultur“ in Europa. Alljährlich versammeln sich hier nicht nur Afro-Aficionados, sondern auch zotteliger Hippie-Nachwuchs und Bürger aus der Umgebung, das übliche Festivalvolk. Dem wird fast alles geboten, was es begehrt: Man kann sich Henna-Tattoos oder Rasta-Zöpfe machen lassen, afrikanische Skulpturen oder Stoffe kaufen, Kunsthandwerk oder Krimskrams – ein bißchen ist es wie eine Afrika-Exportmesse im Freien. Nur, daß viel afrikanische Musik auf dem Programm steht.

Aber was heißt „afrikanische Musik“? Die Definition wird in Würzburg bewußt weit gefaßt, auch karibische Künstler werden eingemeindet, als Teil der „Diaspora“. Doch auch so ist das, was in Europa als „afrikanische Musik“ geschätzt wird, nicht immer identisch mit dem, was auf dem Kontinent gerade populär ist, und umgekehrt. Schön konnte man das am Eröffnungsabend sehen, als Südafrikas Superstar Ringo, auf Einladung der Botschaft zum ersten Mal in Europa, mit bräsigem Sound und Allerwelts-Showeffekten eher langweilte. Am Kap mag das ein Knaller sein, in Würzburg zündete es nicht so recht. Eine überzeugendere Figur machte dagegen die junge Sängerin Chiwoniso aus Simbabwe, die mit dem traditionellen Mbira-Daumenklavier unterm Arm neue Wege in Richtung Pop beschreitet, und ihre etwas ältere Kollegin Busi Mhlongo, die auf ihrem letzten Album flickernde Gitarrenrhythmen und mächtige Zulu-Chöre mit dem kühlen Groove Londoner Studiobauart zu verbinden wußte. Bezeichnenderweise haben beide, Busi Mhlongo wie Chiwoniso Maraire, den größten Teil ihres Lebens außerhalb Afrikas verbracht. Das erklärt die Distanz, die ihnen den unbefangenen Umgang mit Traditionen erlaubt.

Hinter den Kulissen, bei Gesprächen im Pressezelt, wurde viel über die Zukunft der afrikanischen Musik geredet. Die 23jährige Chiwoniso, die in den USA aufwuchs und erst später mit dem Spiel der Mbira begann, berichtet aus Simbabwe, sie „kenne keine Frau in meinem Alter, die dieses Instrument spielt“. Ein Erbe der Kolonialzeit, als traditionelle Musik tabuisiert wurde? Ausländisches jedenfalls ist populär bei der urbanen Jugend in Simbabwe, Mbira-Musik eher in der Sphäre traditioneller Zeremonien und Feiern zu Hause. Chiwoniso bringt den Klang des Daumenklaviers in westliche Pop-Kontexte und will damit auch Vorbild sein. „Wir wollen jungen Musikern in unserem Land damit eine Perspektive aufzeigen“, sekundiert ihr Gitarrist Andy Brown. Neben Fragen der Traditionspflege ging es viel um den starken US-Einfluß. Mehr als einmal fragte ein afrikanischer Journalist besorgt, ob die Musiker denn glaubten, daß die lokalen Kulturen diesem Einfluß, namentlich der aktuellen HipHop-Welle, standhielten. Der Südafrikaner Ringo relativierte: „Bestimmte Sachen sind nicht übertragbar: Diese explizite Sprache, diese obszönen Bewegungen – das kann man doch nicht vor seinen Eltern machen!“ Sein Fazit: „Der Musikstil mag sich durchsetzen, aber die Moral wird afrikanisch bleiben.“

Derweil gab sich die Zukunft in Würzburg die Ehre. Der Auftritt von Positive Black Soul, HipHop-Pionieren aus dem Senegal, war der heimliche Höhepunkt des Festivals. Auf der Bühne zogen PBS, so ihr Kürzel, alle Register der gehobenen Unterhaltung. Vielleicht als Konzession an das folkloristische Ambiente, trugen die beiden Leadrapper wallende Gewänder, doch darunter lugten unmißverständlich klobige Nike-Treter hervor.Von drei Tänzern pantomimisch untermalt, rappten sie sich durch ihr Repertoire. Zum Turntable-Sound kombinieren Positive Black Soul traditionelle Percussion wie die Talking Drum, zu einigen Stücken steuerte sogar ein Kora-Harfist ein paar Töne bei. Das Klanggerüst aber ist HipHop, wenngleich mit einem deutlichem Reggae-Einschlag.

„Am Anfang hieß es, sie halten sich wohl für Amerikaner“, erinnert sich PBS-Rapper Didier Awadi an die Anfänge. Als Vorbild diente PBS damals die Politfraktion des US-Rap. Um „Musik mit Message“ geht es ihnen, nicht um bloße Nachahmung. Überhaupt grenzt man sich ab von den großen Brüdern, vielleicht auch aus dem Trotz des verschmähten Liebhabers heraus. „Der Afrozentrismus in den USA ist ein Busineß“, befindet Didier Awadi. „Wenn Rapper in den USA über Afrika sprechen, dann, weil es Mode ist, oder weil das Credibility bringt. Wir sprechen über die Realität. Das ist nicht die gleiche Debatte. Wir beschwören nicht unsere Wurzeln in Afrika, wir haben sie.“ Und über Selbstverständliches muß man nicht reden: Afroromantik ade. „Wir machen unser eigenes Ding“, betont Didier Awadi. Und das mit einigem Erfolg; auf über 2000 schätzt Awadi die Zahl der nachwachsenden Bands. Nicht ohne Stolz sagt er: „Im Senegal steht HipHop heute an zweiter Stelle, gleich nach Mbalax, der populären Tanzmusik.“ Afrika ist auch nicht mehr das, was es einmal war.