Milli Görus reizt Otto Schily

■  Wie mit dem Islam an Schulen umgehen? Türkische Verbände debattierten mit Bundesinnenminister Schily. Die Radikalen von Milli Görus gaben sich selbstbewußt

Berlin (taz) – Er kam, sprach und stellte klar: „Mit islamischen Organisationen, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, werden wir keinen Dialog führen.“

Bundesinnenminister Otto Schily legte am Sonntag in der evangelischen Akademie in Loccum in einer Diskussion mit Vertretern islamischer Gruppen die künftigen Spielregeln dar.

„Unser Ziel ist die Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft. Der interreligiöse Dialog ist deshalb für die Bundesregierung einer der wichtigsten der nächsten Zukunft.“ Scharf kritisierte Schily die Organisatoren der Tagung „Islam in Deutschland – Eine Religion sucht ihre Einbürgerung.“ Eine Einladung von Gruppen wie Milli Görüs, die in ihren Schriften antisemitische Hetztiraden verfaßten und die Errichtung eines Gottesstaates unterstützten, seien eine unnötige Aufwertung.

Schily beendete damit die Beschaulichkeit einer Tagung, deren Teilnehmer unter interreligiösem Dialog mehrheitlich verstehen, niemanden weh zu tun. Nutznießer dieses sanften Umgangs war Milli Görüs und deren Satellitenorganisationen. Eindrucksvoll demonstrierte Mehmet Erbakan, Generalsekretär von Milli Görüs, in einem Streitgespräch mit dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Deutschlands, Hakki Keskin, wer die Definitionshoheit innehat. Mit der Gelassenheit eines Menschen, der weiß, daß die Zeit für ihn arbeitet, konterte er Keskins Warnungen vor der Indoktrination der Kinder durch Milli Görüs. „Europa wird den Islam stärker verändern als der Islam Europa“, beruhigte Erbakan.

Wer hat künftig den direkten Zugriff auf die Köpfe der muslimischen Kinder? Das war das eigentliche Thema der Tagung, ausgetragen am Streitfall islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen. Schily versicherte den Gläubigen, daß es ihn geben soll. Gleichzeitig erteilte er aber der von Ankara abhängigen Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) eine Absage. Ein Religionsunterricht in türkischer Sprache, mit Lehrplänen, die in Ankara erstellt würden, ein solcher Religionsunterricht sei integrationsstörend. Statt dessen hoffe er ebenso wie der an der Tagung teilnehmende innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Cem Özdemir, auf die Entwicklung eines europäischen Islams.

Diesen allerdings reklamiert ausgerechnet Milli Görüs für sich. Erbakan: „Aus Gründen der Integration wollen wir einen Religionsunterricht in Deutsch. Die Kinder sollen ihre religiösen Empfindungen in deutscher Sprache artikulieren können, damit der Islam nicht als etwas Außergewöhnliches erscheint, sondern als Bestandteil dieser Gesellschaft.“ Das klingt überzeugender als die rückwärtsgewandte nationalistische Rethorik von DITIP. Tatsächlich sind es die Wortführer von Milli Görüs, die die bundesdeutsche Diskurskultur von allen türkischen Interessensorganisationen am besten verinnerlicht haben. Und sie sind es, die sich in ihren Projekten ausdrücklich auf diese Gesellschaft beziehen und dabei am meisten Einfluß auf die türkische Community haben. Bei aller republikanischen Prinzipienfestigkeit des Innenministers: Eine Integration des Islams hierzulande wird ohne Milli Görüs nicht mehr gelingen. Eberhard Seidel