Das Verteidigungsministerium weiß nicht, was es weiß

■ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Scheer stellt Fragen – und bekommt keine Antwort

Die Bundesregierung weiß nicht, ob die Bombardierung ziviler Ziele in Jugoslawien durch die Nato vom Verteidigungsplanungsausschuß des Militärbündnisses gebilligt worden ist – obwohl ihr eine Woche Zeit blieb, dieser Frage nachzugehen. Darüber hinaus kann die Regierung derzeit nicht sagen, ob in der Nato geprüft wurde, wie sich diese Bombardierungen mit dem Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention vereinbaren lassen. Außerdem sieht sie sich außerstande, die Kritik der UN-Menschenrechtskommissarin an den Nato-Bombenangriffen zu bewerten.

Die umfassende Ratlosigkeit geht aus dem Umgang mit einer schriftlichen Anfrage hervor, die der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer am 17. Mai an die Bundesregierung gerichtet hat und in der er Auskunft über diese Sachverhalte begehrte. Laut Geschäftsordnung des Bundestages muß ein derartiges Schreiben innerhalb einer Woche beantwortet werden. Der Parlamentarier bekam jedoch schon am 21. Mai Post vom Verteidigungsministerium. Die Beantwortung der Fragen verlange „Ermittlungen des Hauses“, die innerhalb der Frist „nicht erledigt werden können“, heißt es darin. Scheer wird um Verständnis gebeten, und es wird ihm versprochen, man sei „um weiterhin zügige Bearbeitung“ bemüht. „Im Klartext heißt das natürlich, daß es für die Beantwortung dieser Fragen noch keine Sprachregelung gibt“, meint dazu der SPD-Abgeordnete, der zu den schärfsten Kritikern der Nato-Luftschläge in seiner Fraktion zählt.

Mit leicht süffisantem Unterton verweist er darauf, daß die Beantwortung seiner Fragen eigentlich auch gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Hardthöhe, sondern in den des Außenministeriums falle: „Die haben die heiße Kartoffel einfach weitergereicht.“

Hermann Scheer hat jetzt die Mitglieder seiner Fraktion über die schriftliche Anfrage und die bisherige Reaktion informiert. In einem Begleitschreiben zitiert er aus den vier Genfer Konventionen von 1949 und dem Zusatzprotokoll von 1977 zum humanitären Kriegsvölkerrecht. In den Abkommen werden unter anderem Angriffe auf Bewässerungsanlagen verboten, wird der Schutz der natürlichen Umwelt vor „länger anhaltenden und schweren Schäden“ gefordert und verlangt, daß ein Angreifer alles in seinen Möglichkeiten Stehende zu tun hat, „um sicherzugehen, daß die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile Objekte sind“. Der SPD-Abgeordnete sieht in der Bombardierung von Objekten wie Chemiefabriken, Raffinerien, Stromversorgungslinien, Kraftwerken und Wasserversorgungseinrichtungen Verstöße gegen die Genfer Konvention.

Die Nato habe „das internationale 'Recht im Krieg‘ eklatant überschritten“, so Scheer. Ihre Zielplanung habe „katastrophale politische Auswirkungen und Fernwirkungen“.

Nach Ansicht des Parlamentariers handelt die Nato nicht mehr entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, auch gemessen an ihrem von ihr selbst formulierten Anspruch, „der Balkan-Region den Weg zu einer demokratischen Zivilgesellschaft und einem wirtschaftlichen Aufbau ebnen zu helfen“.

Scheer wünscht, daß sich die SPD-Fraktion heute im Rahmen ihrer Sondersitzung zum Kosovo-Konflikt auch mit diesem Thema befaßt. Bettina Gaus, Bonn

„Für die Beantwortung meiner Fragen“, glaubt Scheer, „gibt es in der Regierung einfach noch keine Sprachregelung“