Blumenimpressionen in Rorschachmustern

■ Gus Gus schliffen im Pfefferberg die harten Kanten des Techno zu sanften Wellen

Der Biergarten im Pfefferberg hat seine Vorteile. Statt sich die Wartezeit stehend vor der leeren Bühne zu vertreiben, kann man auf Holzbänken zwischen den angeleuchteten Kastanien sitzen, über den letzten Snowboard-Urlaub schwatzen oder zuhören, wie ein bißchen Drum 'n' Bass durchs Unterholz weht. Auch der Gus-Gus-Vor-Act Khan paßt gut zum Outdoor-Clubbing: Wenn er zu laut „I lost my mojo in Queens“ ins Mikro krächzt, verschwinden die Leute ganz einfach wieder ins Grüne.

Weil aber der schlaksige Stenz, der da in weißen Herrenunterhosen mit nacktem Oberkörper am Keyboard herumfingert, noch alte Industrial-Schule ist, wirft Khan nach dem Stück Küßchen ins Publikum, dreht kurz an einer Sägezahn-Frequenz und zappt sich so von Fad-Gadget-artigem Pop-Noise zu Swing-Samples und wieder zurück.

Überhaupt ist es ein Abend für Performer im Atonalstil: Wann hatten Sie Ihr letztes Eighties-Erlebnis? Das hier fühlt sich sehr nach EBM an und sieht bei Gus Gus mit entsprechendem Licht im Trockeneisnebel wie ein Gesamtkunstwerk à la Laibach aus. Tatsächlich bezeichnen sich die Isländer als Künstlerkollektiv, das ursprünglich Filme drehen wollte und nun in der Clubszene gelandet ist. Die Vergangenheit erkennt man an den genau ausgearbeiteten Visuals, bei denen allerlei Biker- und Flower-Impressionen in Rorschachmustern über die Bühne projiziert sind. Der Sound, der sich über das psychedelische Experimentalfilm-Ambiente legt, klingt dabei aber eher nach irgendwas zwischen GoGo und Elektro.

Daß sich mit solchermaßen entlegenen Avantgarde-Techniken Hits produzieren lassen, verblüfft dennoch. Bereits auf ihrer 97er-CD „Polydistortion“ gab's Remixe von Techno-Pionieren wie LFO, und auch das aktuelle Album „This is normal“ klingt popkompatibel und tanzbar. Offenbar hat man in Island einen Sinn für Nischen: Wo Björk sich Electronic-Musicals in Kammerspielformat bastelt, sind Gus Gus die ästhetische Verfeinerung der ravenden Gesellschaft – antifaschistischer Dancefloor inklusive. Die harten Kanten des Techno werden in sanften Wellen abgeschliffen, zu denen Daniel Agust rauchig von seiner Suche nach den ewigen Strömen der Liebe singt.

Selbst am Kitsch wird nicht gespart, wenn plötzlich Texte von Michael-Jackson-Songs per Video vorbeilaufen. Gegen Ende mischen sich Bilder wie Botschaften dann ganz mit den Gesten auf der Bühne. Und auch die weit über 600 Leute im Publikum sind zu einem begeistert schwitzenden Knäul zusammengewachsen. Im Halbdunkel rotieren die immerhin acht Musiker auf der Stelle oder blitzen kurz in violetten Lichtkegeln auf. Über ihre Körper blendet sich die Laufschrift „It's not hate it's love“ in Großbuchstaben. Kunstwerke für die Love Parade und trotzdem nah am Leben. Harald Fricke