■ Kosovo: Nach der Anklage gegen Milosevic droht die Eskalation
: Der Marsch auf Belgrad?

Westliche Politiker lassen derzeit vorsichtigen Optimismus hinsichtlich des Verlaufs der Kosovo-Verhandlungen erkennen. Der ist schwer nachvollziehbar. Selbst wenn Miloevic bereit sein sollte, alle westlichen Forderungen bis aufs Komma zu erfüllen, und wenn außerdem ein robustes Mandat des UN-Sicherheitsrates zu erreichen wäre: wie dann weiter? Miloevic wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Eine Lösung, die ihn als Partner mit einbezieht, ist damit unmöglich geworden. Sollen etwa internationale Truppen das Kosovo schützen, die territoriale Integrität Jugoslawiens unangetastet bleiben und ein weltweit gesuchter Verbrecher weiter die Geschäfte seines zerstörten Landes führen? Eine absurde Vorstellung.

Die Anklage gegen Miloevic vor dem Den Haager Tribunal muß all jene freuen, die es schwer erträglich fanden, daß die Schlächter weltweit so oft ungestraft davongekommen sind. Die Hoffnungen auf eine diplomatische Lösung der Balkankrise aber schwinden seit Erhebung der Anklage. Wenn nicht ein weiteres Mal internationale Rechtsnormen und UN-Institutionen einfach übergangen werden sollen, dann kann die Entscheidung aus Den Haag nicht einfach ignoriert werden.

Das aber tut die grüne Bundestagsfraktion, wenn sie jetzt eine einseitige Feuerpause der Nato fordert, die in einen vereinbarten Waffenstillstand münden soll. Mit wem soll der vereinbart werden? Die Forderung war lange überfällig und hätte noch Wochen nach Beginn der Bombardierungen etwas bewirken können. Jetzt droht sie zur unglaubwürdigen Phrase zu verkommen, wenn die Fraktion nicht gleichzeitig Stellung zur künftigen Rolle Miloevic' bezieht.

An diesem Defizit kranken bisher auch alle hoffnungsvollen diplomatischen Signale. Vom Sturz des jugoslawischen Regimes mögen westliche Politiker auch vor Erhebung der Anklage gegen Miloevic geträumt haben, mittlerweile aber ist er unumgänglich geworden. Nun wird mancherorts geraunt, es sei doch möglich, daß die demokratische Opposition in Jugoslawien sich erhebe und den Diktator aus eigener Kraft vertreibe. Der Wunsch ist verständlich, aber man möchte hoffen, daß nicht auch künftig allein Wunschdenken die Strategie des Westens für den Balkan bestimmt. Der Kredit ist aufgebraucht.

So scheint, entgegen aller diplomatischen Zuversicht, die Option eines Bodenkrieges beständig wahrscheinlicher zu werden – und das schließt möglicherweise sogar den Marsch auf Belgrad ein. Die Argumente dagegen gelten weiter. Weder die Dauer eines Bodenkrieges noch seine Folgen und noch nicht einmal sein Sieger stehen fest. Sicher ist, daß ein solcher Krieg viele, sehr viele Opfer auf allen Seiten fordern würde und verbrannte Erde hinterließe. Vielleicht über die Grenzen Jugoslawiens hinaus.

Vom Standpunkt der politischen Moral läßt sich gegen einen Bodenkrieg allerdings nicht mehr einwenden als gegen Luftschläge. Den Frieden herbeibomben zu wollen ist ethisch nicht weniger problematisch als die Hoffnung, ihn herbeischießen zu können. Die bündnisgrüne Fraktion argumentiert nicht logisch, wenn sie einerseits die Position vertritt, die militärische Drohkulisse müsse aufrechterhalten bleiben, und andererseits jetzt in ihrem Beschluß erneut die Ablehnung eines Bodenkriegs bekräftigt.

Ohnehin würden auch Truppen mit UN-Mandat voraussichtlich im Kosovo in Kämpfe verwickelt werden. Marodierende Milizen sind schwer kontrollierbar und halten sich nur selten an internationale Abkommen. Insofern hat der außenpolitische Kanzleramtsberater Michael Steiner recht, wenn er von einem Kampfeinsatz der Bundeswehr am Boden ausgeht. Die indignierten Reaktionen darauf lassen befürchten, daß sich manche Politiker die Folgen ihres Handelns noch immer nicht bis in die letzte Konsequenz ausmalen mögen – oder sie zumindest der Öffentlichkeit nicht mitteilen wollen.

Der Nato-Angriff auf Jugoslawien hat den Handlungsspielraum des Westens verengt. Das wissen inzwischen auch viele Parlamentarier. Aber es gibt einen Zeitpunkt, an dem sich ein Fehler nicht mehr heilen läßt. Ereignisse vollziehen sich dann mit der Zwangsläufigkeit einer griechischen Tragödie. Der Diplomatie wäre wahrlich ein Erfolg zu wünschen. An ihn zu glauben fällt schwer. Bettina Gaus