In den Todesmühlen

Verschickung ins Gruselkabinett: Umerziehungsfilme aus der Nachkriegszeit im Metropol  ■ Von Toboas Nagl

Re-educate Germany by Film!“ – unter diesem Seminar-Titel sind im Metropolis ganz frühe Beispiele einer Kinematographie des Holocausts zu sehen. Alliierte Kameramänner haben unmittelbar nach der Befreiung der deutschen Konzentrationslager ungläubig ihre Objektive auf die Spuren des Schreckens gerichtet: die Leichenberge, die Todeskammern, die Zyklon-B-Behälter, die ausgemergelten Überlebenden. So sollte der Welt gezeigt werden, was dort vorgegangen war und warum der gerade gewonnene Krieg ein richtiger und gerechter gewesen ist.

Dies galt es insbesondere dem Volk der Täter zu beweisen, das aus den Ruinen des zerbombten Deutschland kroch und von nichts gewußt haben will. Dennoch sind diese Bilder äußerst selten zu sehen. Eine Sequenz kehrt – in den verschiedensten Dokumentarfilmen dieser Zeit montiert – immer wieder und legt sich wie ein metatextueller Blue-print über die Filme selbst, die während der ersten „Re-education“-Phase dem deutschen Publikum gezeigt wurden. Es sind die Bilder der Bürger Weimars, die auf Anordnung der Besatzer das KZ Buchenwald besichtigen müssen.

Wie beim Warten auf den Beginn eines Schulausflug stehen sie lachend im sonnigen Stadtzentrum, bereit zur Landverschickung in ein Gruselkabinett, dessen schockierenste Exponate eine aus gegerbter Haut für die Frau des Lagerkommmandanten gefertigte Lampe und die Schrumpfköpfe zweier polnischer Häftlinge sind. Manche der wohlgenährten Besucher brechen zusammen. Frühere Häftlinge müssen ihnen zu Hilfe eilen. Auch frühere Naziführer sieht man, wie sie die Lagerbauten betreten und mit verdecktem Gesicht verlassen. Das läßt daran denken, wie Harun Farocki einmal bemerkt hat, daß sie eben auch alle wieder herauskommen aus dem Raum, den die Opfer nicht verlassen konnten, in dem sich darstellt, was das Wort „Endlösung“ verbirgt.

Während der ersten Monate der Okkupation stand die Besatzungspolitik im Zeichen der berühmten Direktive 1067 der Vereinigten Stabschefs, des Potsdamer Abkommens und der Nürnberger Prozesse: Denazification, Demilitarisation und Desindustrialisation. Der Begriff der „Re-education“, der sich daraus ergab, war deshalb in den Jahren 1945/46 untrennbar mit der in der Sprache des Siegers formulierten Kollektivschuld-These verbunden. Für die alliierten Militärs galt ein Fraternisierungsverbot mit dem Feind, und Umerziehung hieß zuallererst, die deutsche Bevölkerung von ihrer Schuld am Aufstieg des Nationalsozialismus und des Holocausts zu überzeugen.

Auch der Film sollte darin eine Rolle spielen. So konfus dieses Programm auf dem Sektor des Spielfilms blieb, so klar waren die Vorstellungen für den Dokumentarfilm. Pläne für „Greuelfilme“, so die damalige Bezeichnung, gehen bis 1944 und in die Psychological Warfare Division der Allierten zurück. Ein Film wie Germany, Awake! von 1945, der deutschen Kriegsgefangenen vorgeführt wurde, ist mehr als deutlich. Direkt wendet sich das Wir der Sieger an seinen gefangenen Gegenüber: „Eure Städte sind nur noch Schutthaufen. Wir wissen, daß es unter Euch Nazis gibt. Wir geben uns keinen falschen Hoffnungen hin, sie zu überzeugen.“

Weniger konfrontativ präsentiert der von Hanus Burger mit Militäraufnahmen realisierte – und von Billy Wilder von 86 auf 22 Minuten zurechtgestutzte – Welt-im-Bild-Wochenschau-Beitrag Todesmühlen (1945/46) ähnlich grauenhaftes Material zu melodramatischer Filmmusik. Todesmühlen bildete einen Präzedenzfall jener dezidiert anti-faschistischen „Re-education“-Phase, mit der schon bald kein Staat mehr zu machen war und die spätestens ab 1946 durch die alliierte Wiederaufbau-Politik im Zeichen der Ost-West-Konfrontation abgelöst werden sollte. So sehr man jeder statistischen Rezeptionsforschung mißtrauen mag, ist die Wirkung der Todesmühlen relativ gut belegt. Film Control Officer Peter Van Eyck schrieb im März 1946: „Obgleich die Todesmühlen langsam mahlen, bekommen sie doch keine Kundschaft.“ Die deutsche Bevölkerung blieb dem Film in Scharen fern, um, in der Sprache der Psychologen, wohl „emotiv-kognitive Dissonanzen“ zu vermeiden, und rund 88 Prozent der Befragten einer soziologischen Untersuchung konstatierten, sie hätten nach dem Besuch des Films kein Gefühl einer persönlichen Verantwortung verspürt. In einer Statistik der beliebtesten Filme rangierte Todesmühlen auf dem letzten Platz, Veit Harlans tragischer Blut-und-Boden-Epos Die goldene Stadt bei den deutschen Produktionen hingegen ganz vorne.

Das ambitionierteste Projekt dieser Zeit, der von Alfred Hitchcock betreute Memory of the Camps (1945) blieb in diesem Klima Fragment – und bis 1984 unaufgeführt. Mittels der Filmkritik und –historie allein ist von den Bildern der NS-Barbarei aber kaum zu sprechen. Hat mit der Rückkehr der Wehrmachts-ausstellung nach Hamburg auch der neu- und noch-faschistische Mob seine Wiedergänger auf den Plan und die Straßen gerufen, kommt vor dem Hintergrund von 50 Jahren BRD-Geschichte und publizistischem Ringen um „Normalität“, die fatalerweise den Nachkriegskonsens von Beginn an auszeichnete, gerade diesen Bilder eine bedrückend melancholische Vergeblichkeit zu. Und wenn über 50 Jahre lang Faschismus in diesem Land dennoch keine hegemoniefähige Option blieb, ist das vielleicht anderen Faktoren zu danken: Coca-Cola etwa, Lionel Hampton oder Humphrey Bogart. Das ist tragisch, aber auch ziemlich viel.

Das Seminar findet von Do, 3. bis So, 6. Juni im Metropolis statt. Weitere Infos unter Tel.: 34 23 53