Drei Tage vor der Wahl

■ Für eine Alternative zur Politik der großen Koalition

Trotz ihrer großen parlamen- tarischen Mehrheit ist die Balance der Machtteilung, auf der die große Koalition beruht, keineswegs stabil. Die Hinweise mehren sich, daß die Wahlen diese Balance durcheinanderbringen. Der CDU scheint der Durchbruch in neue Schichten nicht zu gelingen, während die SPD sich anscheinend die AFB wieder einverleibt. Eine alleinregierende Sozialdemokratie wäre aber hoffnungslos überfordert, wenn sie wieder ihre ehemalige Integrationsfunktion übernehmen müßte.

Es lohnt sich also durchaus, über die Voraussetzungen einer rot-grünen Senatsbildung, über ihre politischen Möglichkeiten und daran zu knüpfende Erwartungen nachzudenken.

Die Bilanz der großen Koalition fällt, gemessen an ihrem zentralen Ziel – der Sanierung – ,dürftig aus; gemessen an Bremer Erfahrungen waren jedoch einige Weichenstellungen geradezu kühn. Wenn die Lage auch schlechter ist als die Stimmung, so ist die gute Stimmung doch durchaus ein Gewinn.

Dennoch beobachten wir eine wachsende Skepsis in der Stadt gegen die aufgeblasenen Erfolgsmeldungen. Mit jeder Steuerschätzung müssen die Prognosen nach unten korrigiert werden, rückt der aus eigener Kraft finanzierte verfassungsgemäße Haushalt in weitere Ferne. So verliert die Logik des Sanierungsprogramms ihre Überzeugungskraft, aber der Druck auf den Haushalt nimmt weiter zu. Im grünen Wahlkampf ist von dieser Einsicht freilich wenig zu merken.

Die große Koalition füllt beinahe den ganzen politischen Raum der Stadt aus und erstickt die Auseinandersetzung um diese Frage. Hinter der Fassade der großen Mehrheit nimmt die Entscheidungsfindung im Regierungsapparat wieder ständische Züge an – zum Teil übrigens auch das Gehabe und das Selbstbewußtsein. Gründlicher als in den letzten vier Jahren wurden die modernen städtischen Milieus und die kritische Öffentlichkeit wohl nie vom Machtzentrum der Stadt abgeschirmt. Das wird diesem Senat übelgenommen.

Nehmen wir also an, es käme zur Möglichkeit einer rot-grünen Senatsbildung: Was ließe sich ändern, und was könnten wir vernünftigerweise von ihm erwarten?

Voraussetzung jeder künftigen Politik ist die ehrliche Klärung der Geschäftsgrundlage: Der neue Senat wird gegen Ende der Legislaturperiode Rechenschaft über die Verwendung von 18 Milliarden DM aus Bonn abzulegen haben. Als Regierungspartei würden dann die Grünen die Bilanz einer Politik (mit) zu erklären haben, die in wesentlichen Zügen von der großen Koalition gegen die Grünen festgelegt wurde.

Ein Herausreden wird es nicht geben. Die Grünen sprechen dann für die Stadt und nicht für sich als Partei. Es wird kaum ein Feld der Politik geben, auf dem Fortschritte ohne die Kooperation mit der Wirtschaft, möglich sind. Deshalb wird ein rotgrüner Senat gegen alle Vorurteile auf beiden Seiten für ein konstruktives und kooperatives Verhältnis zu den Unternehmen, zur verfaßten Wirtschaft und ihren Repräsentanten, eintreten.

Auch ein rotgrüner Senat wird an der strukturpolitischen, sozialen und ökologischen Schieflage des Sanierungsprogramms nicht mehr viel ändern können.

Voraussetzungen und Anforderungen sind eine Sache; wie ein rot-grüner Senat damit umgehen könnte, ist eine andere:

1. Bremen braucht Freunde. Region und Stadt können sich nur gemeinsam behaupten. Das Bonner Geld für aussichtslose Schlachten gegen das Umland zu verplempern, statt sie für Projekte der Zusammenarbeit zu verwenden, gehört zu den unverzeihlichen Fehlern des alten Senats. Wie anders als durch offensive Kooperation will Bremen sich eigentlich auf die Verhandlungen um den Länderfinanzausgleich vorbereiten? Angesichts der nicht mehr rückholbaren Grundstücksankäufe in der Hemelinger, Mahndorfer und Arberger Marsch sollten diese Flächen zum Verhandlungsgegenstand für ein gemeinsames Gewerbe- und Freiflächenmanagement mit den südöstlich gelegenen Gemeinden gemacht werden.

2. Einen Teil dieser Flächen wird man ohnehin brauchen, wenn man den Großmarkt aus den alten Hafenrevieren herausverhandeln will. Das eröffnete den Spielraum für eine wirklich chancenreiche Umgestaltung der alten Hafenreviere. Und in diesem Punkt können die Grünen mit ihrer Position auf die größte Unterstützung aus der Stadt rechnen.

3. Bremen wird auch noch den Rest seines Tafelsilbers verkaufen müssen (Stadtwerke, Flughafen etc.). Der minimale Handlungsspielraum, der sich damit erkaufen läßt, muß allerdings genutzt werden, um die Bildungsinfrastruktur des Landes zu retten. Der Verfall der Schulen ist nicht nur unverantwortlich gegenüber den Kindern; er macht auf Dauer alle Anstrengungen unglaubwürdig und zunichte, die Stadt zu modernisieren und auf die Zukunft vorzubereiten.

4. In der Innenpolitik wäre schon viel erreicht, wenn die gehässige Praxis des Ausländeramtes und die feldherrenhafte Attitüde des Innensenators durch eine differenzierte und an den Geboten der Fairneß gegenüber allen Mitgliedern der Gesellschaft orientierte Praxis ersetzt würde.

5. Entstaatlichung muß mit einer Ausweitung der Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der BürgerInnen einhergehen und dadurch tragfähig und erträglich gemacht werden. Voraussetzung für das notwendige Engagement der BürgerInnen ist Verläßlichkeit der Politik bei der Einhaltung von Vereinbarungen. Ohne entsprechende Verbindlichkeit durch die Bereitstellung dafür notwendiger Ressourcen wird Bürgerengagement nicht zu haben sein. (...)

Die große Koalition hat sich gar nicht erst zugetraut, diesen Weg einzuschlagen; eine rotgrüne Koalition könnte hier als der „Makler“ fungieren, der dafür in allererster Linie gebraucht wird. Beispiele sind kein Koalitionsprogramm. Sie verdeutlichen die Richtung.

Katja Barloschky, Robert Bücking, Prof. Dr. Günter Dey, Dr. Rainer Dombois, Prof. Dr. Birgit Geiß ler, Jochen Grabler, Prof. Tho mas Krämer-Badoni, Dr. Barba ra Loer, Prof. Dr. Ulrich Müc kenberger, Prof. Dr. Eberhard Schmidt, Dr. Günter Warsewa