Weißes Rauschen

■ Das Londoner Label Fat Cat präsentiert sich mit beunruhigend ruhigen Soundgebilden von Transient Waves und anderen elektronischen Acts

Sommergeräusche kommen von draußen ins Zimmer, durch die Mauern gedämpft. Vielleicht ein Saxophon, vielleicht Bongos, Kinderspiele und Lachen im Park. Und trotzdem klingt es nicht wirklich verlockend, eher schon wie ein mißglückter Versuch, die Ohren zu verstopfen.

Transient Waves, eine Band aus Philadelphia, klingen unheimlich, bedrohlich. Die verschleppten und entzerrten Sounds rücken immer näher, umhüllen das Ohr mit Klang und landen schließlich im Kopf. Ein Besen gleitet so langsam über das Becken, daß jeder Halm einzeln hörbar wird. Platten knakken wie Regen. Syd Tuckers Stimme ist ganz gespenstisch Hall und Hauch, sie summt wie ein ganzer Bienenstock, schiere Stimme ohne Bedeutung. Weißes Rauschen, Zischen, Wassertropfen und Flüstern – wie aus dem Psychiatrielexikon. Eine Karawane mit Kamelen zieht vorbei, merkwürdigerweise mit dabei: die Jingle Bells vom Schlitten des Doktor Schiwago.

Transient Waves verlängern den beunruhigenden Moment, in dem man plötzlich erkennt, daß die Meeresgeräusche aus der Muschel in Wirklichkeit von einem selbst stammen. In dem man irritiert das Oropax aus den Ohren reißt, weil man meint, draußen etwas gehört zu haben. Sie erzählen von der Sehnsucht nach Weltraum, von Metropolis und Twin Peaks, von makellosen Maschinenmenschen und Biomechanics. Diese Band mit ihrem neuen Album „Sonic Narcotic“ ist der lebende Beweis, daß es mit Postrock immer noch weiter geht, zumal wenn er sich auf Ambient und Elektronik einläßt.

Aufgehoben ist dieses Konzept ganz passend beim Londoner Label Fat Cat, das heute abend zusammen mit der Band in Berlin residiert. Fat Cat ist hervorgegangen aus einem der feinsten Plattenläden Londons, in dem sich Funkstörung und Björk, Juan Atkins, Scanner und Aphex Twin trafen. Ein Appell an das Öffnen der Ohren: Schon damals sei man vom Gedanken beseelt gewesen, so die Ladenbesitzer Dave Cawley und Alex Knight, „die Kunden dazu zu bewegen, Genres wie HipHop, Drum 'n' Bass, Dub, Postrock, Noise und Industrial zu erforschen“.

Mit diesem Willen zur Bandbreite, zum pädagogischen Antrieb und hehren Netzwerkgedanken gründete man das Label, als die Miete für den Laden zu teuer wurde. Seitdem arbeitet man an der glamourösen Grenzverschiebung, entdeckt unbekannte Musiker und bringt sie mit etablierten zusammen, verhindert leichte Einordnung durch klar definierten, dafür aber um so langweiligeren Labelsound. Auf der Homepage gibt es eine Riesenseite mit Links zu anderen Labels wie Staalplaat, Digital Hardcore, Chemical Underground, Grand Royal, zu Bands wie Sonic Youth und Kraftwerk, außerdem in bester Mille-Plateaux-Tradition eine Theorieseite mit Lexikonartikeln über Derrida, Baudrillard, Deleuze und Guattari. Erst seit etwas mehr als einem Jahr existiert nun Fat Cat, das Label; unzählige Platten sind bereits erschienen.

Vor kurzem gab es zur Orientierung einen wunderschönen Labelsampler, „Across Uneven Terrain“, der das rätselhafte Geheimwissen der Eingeweihten auch Außenstehenden zugänglich macht. Hier versammeln sich der berühmte Björk-Remix von Funkstörung, ein Autechre-Remix, Turntable-Noise, Industrial, Dub, Detroit Techno, Postrock von Mice Parade alias Adam Pierce, auch Mitglied der Dylan Group – organisch zusammengesetzt aus durch den Raum rotierenden Streichern, schüchternen Gitarrenharmonien, Xylophon, menschlichem Wispern und zerbrochenen Beats.

Ein anderes Projekt von Ex-Mitgliedern der Chicagoer Postrock-Band Rome stiftet unter dem Namen Sons of The Sun ein verdrehtes Stück mit einem Chaka-Khan-Sample, dem Bellen eines überdrehten Aufzieh-Pinschers, klingenden Gläsern, knarzendem Geigerzähler und Vocoderpoesie. Von Process, einem Musiker aus Brighton, der heute abend auch in Berlin mit dabei sein wird, stammt ein Stück, das einerseits an Minimaltechno, andererseits an den holprigen Maschinenkult von Staalplaat-Bands wie Esplendor Geométrico erinnert. Es rumpelt und pumpelt, daß es eine Freude ist, und kratzt herrlich altmodisch, und geht am Ende nur darum nicht in die Luft, weil der Glaube an das Sandkorn im Getriebe so unerschütterlich ist. Susanne Messmer

Fat Cat Party mit Transient Waves im Maria im Ostbahnhof, ab 22 Uhr

Ein Besen gleitet so langsam über das Becken, daß jeder Halm einzeln hörbar wird.