„Es war kein Sturm aufs Konsulat“

■ Wolfgang Kaleck, Anwalt der bei der Besetzung des israelischen Konsulats verhafteten Kurden, fordert deren Entlassung aus der U-Haft

taz: Herr Kaleck, Ihre Kanzlei vertritt mehrere Kurden, die beim israelischen Generalkonsulat festgenommen wurden. Durch ein Polizeivideo ist die Notwehrthese der Israelis vor dem Gebäude nicht mehr haltbar. Hat das Auswirkungen auf die Prozesse?

Wolfgang Kaleck: Es sind insgesamt zwei Videos. Eines ist bekannt. Auf dem zweiten ist zu sehen, wie die Kurden nach den Schüssen friedlich das Gelände verlassen und von Polizeibeamten in Empfang genommen werden. Beide müssen Auswirkungen haben, weil sie zeigen, daß es keinen abgesprochenen „Sturm“ gab. Man wollte auf dem Konsulatsgelände demonstrieren. Etwas anderes ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erwiesen. Die Prozesse müssen also eine Nummer niedriger gehängt und vor allem die Kurden aus der U-Haft entlassen werden. Man kann die besondere Bedeutung nicht von der Überreaktion der Sicherheitsleute ableiten und den Kurden vorwerfen, sie hätten sich an einer Aktion beteiligt, bei der vier Menschen ums Leben kamen. Das ist völlig absurd.

Bei ihnen klingt es nach einer harmlosen Aktion.

Niemand redet von einer „Singeveranstaltung“, aber es war eben auch kein „Sturm“. Es war eine Demonstration, bei der es zu Regelverletzungen kam.

Die Justizverwaltung beabsichtigt, die Ermittlungsverfahren gegen die Sicherheitsbeamten einzustellen. Wird Ihre Kanzlei nun zivilrechtliche Verfahren in Israel anstrengen?

Wenn es zur Einstellung kommt, werden wir wohl Beschwerde einlegen. Solange es keine schriftliche Entscheidung hierzu gibt, werden wir uns dazu nicht äußern. Auch nicht zu möglichen Verfahren in Israel. Aber wir prüfen das natürlich.

In welchem Stadium sind die anhängigen Strafverfahren?

Es gab bisher zwei Verhandlungen vor Jugendschöffengerichten. Am 5. Mai wurde gegen einen 20jährigen wegen schweren Landfriedensbruchs, schweren Widerstandes und gefährlicher Körperverletzung verhandelt. Der Tatvorwurf hätte möglicherweise dazu geführt, daß er abgeschoben worden wäre, obwohl er in Deutschland geboren ist. Wir konnten erreichen, daß er nur zu vierwöchigem Dauerarrest wegen einfachen Hausfriedensbruchs verurteilt wurde. Im zweiten Verfahren wurde der Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs abgetrennt. Am 16. Juni, 13. Juli und im September kommt es zu größeren Verfahren gegen alle, vor allem auch die verletzten Kurden, die auf dem Gelände festgestellt wurden. Viele befinden sich noch in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft geht von einer besonderen Bedeutung aus, da die Aktion gemeinsam und geplant durchgeführt worden sei. Diese Grundannahme hat sich schon im ersten Prozeß als falsch erwiesen. Um ein Versäumnis der Polizei zu vertuschen, wird verbreitet, man hätte nur auf das Gelände gelangen können, wenn zuvor die Polizeikette überrannt wurde. Man konnte das Gelände auch betreten, ohne Beamte nur zu berühren. Interview: Otto Diederichs