Grand Slum in Eurovision

■ „The Acid House“: Paul McGuigans filmische Entziehungskur für Irvine-Welsh-Fans, die schon längst runterwollen von dem Zeug

Gott tritt ja heutzutage in jedem drittklassigen Comic auf. Immer gut für ein großes Hallo, der alte Knabe. Vor allem, wenn er Sachen sagt wie: „Dieser Idiot Nietzsche lag daneben, als er sagte, ich sei tot. Ich bin nicht tot, ich scher' mich nur 'n Scheiß.“ Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß Nietzsche recht hatte, liefert ihn jetzt „The Acid House“. Und sollte Gott den Menschen, der solche Filme verantwortet, ins Vergessen mitnehmen, es wäre der Welt Schaden nicht. In der Verfilmung dreier Kurzgeschichten von „Trainspotting“-Autor Irvine Welsh ist obiges Zitat tatsächlich der große Knaller. Besser wird es nicht. Wir erinnern uns an Zeiten, als man, um dabeizusein und um diese ungeheuer gefährliche Botschaft zu begreifen, die Sprüche von den Plakaten auswendig lernte, über den Orgasmus, den man mal Tausend nehmen müsse, um immer noch nicht zu wissen, was Acid ist, oder über das Mikrowellenleben, zu dem man doch einfach nein sagen könnte. Das war auch keine große Literatur, aber es hat gekickt. In „The Acid House“ kickt nichts. Daß Regisseur Paul McGuigan und Irvine Welsh, der als Drehbuchautor jetzt auch Mittäter wurde, Erwartungshaltungen enttäuschen, ist das Beste, was man dazu sagen kann.

Während der Motor von „Trainspotting“ noch die Flucht aus miesen Verhältnissen war, sei es durch Drogen, Gewalt oder bürgerliche Anpassung, haben es sich die Protagonisten aller drei Episoden von „The Acid House“ in der gemütlichen Grube von „Uncool Britannia“ (Newsweek) gut eingerichtet. Der Film weidet sich an einem maßlos überzeichneten Krieg aller gegen alle, um billiges Bier und billigen Sex. Das Urteil im Namen des Zuschauers steht von Anfang an fest: Würden diese fiesen Charaktere nicht schon in der Vororthölle von Nord-Edinburgh leben, müßte man sie glatt dorthin wünschen. Der pickelgesichtige Teenager Boab etwa hat es mehr als verdient, am selben Tag Freundin, Job, die Bude bei den Eltern und den Stammplatz im Fußballteam zu verlieren. Weil das noch nicht Strafe genug ist, verwandelt ihn erwähnter Gott, ein Saufbruder aus Boabs Eckkneipe, ebendort in eine Schmeißfliege. Doch statt Buße zu tun, summt der Tausendsassa los, um seinen Peinigern lustige Exkrementvergiftungen beizubringen. Für die einen ist es eine Parabel, für die anderen die billigste Rachephantasie der Welt.

Teil zwei hingegen tut richtig weh. Während es seine Frau ein Stockwerk höher lautstark mit dem neuen Nachbarn treibt, muß Johnny das Baby hüten. Seine Demütigungen durch den coolen Larry bieten ein scheußliches Spektakel der Grausamkeit. Daß das nirgendwohin führt, ist das Unangenehme an „The Acid House“. Auf der Flucht vor der Moral der Geschichte ist dem Film jedes Thema abhanden gekommen. McGuigans „Hardcore-Realismus“ destilliert aus sozialer und menschlicher Misere Schockbilder, die er zum Proletkult erhebt. Weil sich McGuigan die künstlerische Verbrämung, für die „Trainspotting“ einst gescholten wurde, gespart hat, gerät dieses Zeigen zur Pornographie. Als hätten sie es geahnt, sabotierten die Bewohner der Originalschauplätze die Dreharbeiten übrigens eine ganze Weile lang.

Weniger ärgerlich, dafür nur dämlich geriert sich Teil drei, die Titelstory. Nach einem „Super-Mario“ zuviel, dessen unkalkulierte Wirkung die Kamera und Ewen Bremner, der Spud aus „Trainspotting“, sogar recht ansprechend visualisieren, tauscht der Raver Coco Identitäten mit einem Baby. Folge: das eklige Pappmachébalg aus „Trainspotting“ lernt reden. Kuck mal, wer da Zoten reißt. „Her mit den Monstertitten“, brüllt der Säuger. Auch beim Soundtrack verhalten sich die beiden Filme zueinander wie das Heilige zum Profanen, also wie Blur zu Oasis. Folgerichtig hat Noel Gallagher auch einen Song beigesteuert, gute Bands blieben weitestgehend verschont. Die Musik macht es ohnehin den lahmen Dialogen nach und setzt immer zur falschen Zeit ein. Um Klartext zu sprechen: Mega mega shit thing. Kann man getrost die schmutzigste Toilette Schottlands hinunterspülen. Philipp Bühler

„The Acid House“, Regie: Paul McGuigan. Mit Ewen Bremner, Jenny McCrindle u.a., UK 1998, 111 Min.