■ Mit dem Geist von St. Gallen auf du und du
: Tradition des Zuhörens

St. Gallen (taz) – Tradition ist an der Universität für Wirtschaft und Recht in St. Gallen (Schweiz) ein paradoxer Begriff. Hier, so heißt es, sei es nämlich alte Tradition, mit Traditionen zu brechen. Vielleicht ist das der Grund, warum das „ISC – internationales Management Symposium“ zu den bedeutendsten Treffen führender Wirtschaftsleute in Europa gehört. Hervorgegangen ist das Symposium aus einer studentischen Initiative. In der Zeit der europaweiten Studentenproteste um 1968 wollten fünf Wirtschaftsstudenten, unter ihnen der junge Coburger Wolfgang Schürer, nicht weiter mit ansehen, wie Studenten und Staat aufeinander einprügelten. Sie wollten Dialog statt Gewalt.

Ihre Fragen waren keine anderen als die der Studenten in Berlin, Wien und Paris: Es ging um das Verhältnis von Kapital und Gesellschaft, um Hierarchien, um die Verflechtungen des Staates mit der privaten Wirtschaft. „Zuerst“, sagt Wolfgang Schürer, „wollte niemand mit uns reden. Die haben gedacht, wir wollen sie in eine Falle locken.“ Erst der Club of Rome erhörte ihre Rufe und ließ 1970 seine aufsehenerregende Studie „Die Grenzen des Wachstums“ erstmals in St. Gallen diskutieren. Das ISC war geboren.

Bis heute wird das Symposium ausschließlich von Studenten der Universität St. Gallen organisiert und betreut. Berührungsangst ist hier ein Fremdwort geblieben. Im vergangenen Jahr etwa war Joscka Fischer zu Gast. Und die meisten der europäischen Gewerkschaftsbosse waren auch schon da. Zum ISC kommen die Wirtschaftskapitäne nicht zur „Selbstbeweihräucherung“, meint eine deutsche Journalistin. „Die wollen wirklich diskutieren.“

Wolfgang Schürer nennt das den „Geist von St. Gallen“. „Wir denken nicht in Schablonen, es gibt kein Schwarz oder Weiß. Es gibt nur eine Hierarchie. Und das ist die der Themen, nicht der Personen.“ Für die Studentin und Eröffnungsrednerin Denise Fuhrer heißt das: „Geld ist nicht alles und Gewinnmaximierung nicht das oberste Gebot.“ Sie wolle mitarbeiten an der Verwirklichung unrealistischer Visionen, „wir sind Querdenker.“ Und denen gehört die Zukunft, da ist Fuhrer sicher. tde