■ Angehörige von Massakeropfern verklagen chinesische Führung

Berlin (taz) - 105 Angehörige von Opfern der gewaltsamen Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung vor zehn Jahren haben beim Generalstaatsanwalt in Peking Klage eingereicht. Sie fordern eine Bestrafung der für das sogenannte Tiananmen-Massaker verantwortlichen Politiker – allen voran des damaligen Ministerpräsidenten Li Peng. Er verhängte das Kriegsrecht und gilt als ein Hauptverantwortlicher. Heute ist er in der Hierarchie die Nummer zwei.

Die bereits am 17. Mai eingereichte Klage wurde erst jetzt von Menschenrechtsorganisationen in New York und Hongkong bekanntgegeben. Vorgelegt wurden auch 27 detaillierte Zeugenaussagen. Bei dem sich morgen zum zehnten Mal jährenden Massaker waren mehrere hundert Menschen getötet und Tausende verletzt worden. Die Klageschrift listet 155 Tote und 65 Verwundete auf.

In den vergangenen Jahren hatten die Angehörigen, die unter starkem Druck der Behörden stehen, lediglich die Rehabilitierung der Opfer und Entschädigungen gefordert. Die jetzige Klage, die sich nach Ansicht der Initiatoren im Rahmen chinesischer Gesetze bewegt, ist eine neue Qualität.

Die Regierung ging auf die Forderungen nie ein. Auch gestern rechtfertigte sie in einem Artikel des KP-Organs Volkszeitung wieder das damalige Vorgehen. In den Augen der Führung war die Demokratiebewegung eine „Konterrevolution“. Sollten die Gerichte die Klage nicht behandeln, wollen die Angehörigen sich auf internationaler Ebene für eine Untersuchung einsetzen.

Im ostchinesischen Huangzhou wurden nach Informationen von AFP gestern vier Mitglieder der verbotenen Demokratischen Partei festgenommen. Die Partei bereitet dort für den Jahrestag eine Kundgebung vor. Sven Hansen