Für den Frieden nicht zuständig

Das Gericht der Vereinten Nationen, der Internationale Gerichtshof in Den Haag, lehnte den Antrag Jugoslawiens ab, einen Waffenstillstand anzuordnen  ■   Von Christian Rath

Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat sich gestern erfolgreich um eine Entscheidung im Kosovo-Konflikt herumgedrückt. Das Gericht der Vereinten Nationen erklärte sich für unzuständig, den von Jugoslawien beantragten Waffenstillstand zu erlassen. Damit ging die Strategie der zehn verklagten Nato-Staaten auf, unter allen Umständen eine IGH-Entscheidung zu vermeiden.

Jugoslawien hatte die USA, Deutschland und weitere acht Nato-Länder Ende April wegen Verletzung des Völkerrechts in Den Haag verklagt. Der Vorwurf: die Nato habe einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien begonnen und betreibe Völkermord am jugoslawischen Volk. Als Sofortmaßnahme beantragte Belgrad einen Waffenstillstand.

Bei der mündlichen Verhandlung Anfang Mai versuchte von allen zehn verklagten Staaten nur Belgien den Nato-Angriff juristisch zu rechtfertigen. Die anderen Nato-Länder argumentierten vor allem moralisch und konzentrierten sich darauf, die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes zu bestreiten (taz vom 14. 5. 1999).

Das Problem ist: Der IGH kann in völkerrechtlichen Streitfällen nur dann entscheiden, wenn sich die beteiligten Staaten zuvor seiner Rechtsprechung unterwerfen. Dies kann auf drei Wegen geschehen: für den einzelnen Fall, generell oder aber im Rahmen eines speziellen völkerrechtlichen Vertrages. So sieht etwa die UN-Genozid-Konvention eine automatische Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes vor.

Aus diesem Grund legte die jugoslawische Seite soviel Gewicht auf den Vorwurf des Völkermords. Mit diesem Klagepunkt scheiterte Belgrad aber auf ganzer Linie. Der Den Haager Gerichtshof sah keine Anzeichen dafür, daß die Nato mit ihren Angriffen einen Völkermord beabsichtige.

Damit waren vier der zehn verklagten Nato-Staaten (USA, Deutschland, Frankreich, Italien) am sicheren Ufer, denn sie haben sich für allgemeine völkerrechtliche Fragen nicht der IGH-Rechtsprechung unterworfen (siehe nebenstehenden Kasten). Ob die Nato einen unzulässigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien führt, konnte höchstens gegenüber den anderen sechs Staaten (Belgien, Kanada, Großbritannien, Niederlande, Portugal und Spanien) entschieden werden.

Doch der IGH erklärte sich auch hier für unzuständig. Zur Begründung hieß es, Jugoslawien habe seinerseits das UN-Gericht erst am 25. April, also einen Monat nach Beginn des Konflikts, anerkannt. Diese Begründung ist allerdings nicht sehr überzeugend. Schließlich gingen die Nato-Angriffe auch nach dem 25. April unvermindert weiter.

Eine Minderheit von Richtern wie der Holländer Pieter Koojimans begründete die Nichtzuständigkeit daher auf anderem Wege. Sie verwiesen darauf, daß Jugoslawien schon seit 1992 nicht mehr ordentliches Mitglied der Vereinten Nationen sei. Dies habe der Sicherheitsrat und die Generalversammlung damals ausdrücklich festgestellt.

Im Ergebnis stimmten zwölf Richter für die Nichtzuständigkeit und vier dagegen, unter ihnen IGH-Vizepräsident Christopher Weeramantry aus Sri Lanka. In einem Minderheitsvotum erklärte er ausdrücklich: „Der Gerichtshof hätte mit einstweiligen Anordnungen beide Seiten von weiteren Gewalttaten abhalten sollen.“

Ganz wohl war der IGH-Mehrheit dann aber auch nicht mit ihren formalen Argumenten. Ausdrücklich betonten sie, daß die Staaten sich auch dann an das Völkerrecht halten müßten, wenn der IGH unzuständig sei. Außerdem wurden alle beteiligten Staaten ermahnt, den Konflikt „nicht zu verschlimmern oder auszuweiten“. Rechtliche Verbindlichkeit haben solche Bemerkungen allerdings nicht.

Die Bundesregierung begrüßte denn auch die Entscheidung des IGH. „Der IGH war nicht gewillt, sich rechtsmißbräuchlich in Anspruch nehmen zu lassen“, erklärte gestern ein Sprecher. Der von Jugoslawien erhobene Vorwurf des Völkermords sei „zynisch“ gewesen.

Der IGH will die Zuständigkeitsfragen übrigens weiter prüfen. Doch das kann Jahre dauern.