Dirigent, Komponist und Oboist

■ Der Multikünstler Heinz Holliger gastierte zu seinem 60. Geburtstag in der Glocke

Doppelbegabungen gibt es selten genug, zumindest wenn beide Gebiete mit gleicher Leistung ausgefüllt werden sollen. Eine Ausnahme ist der Schweizer Heinz Holliger: Er ist einer der besten Oboisten der Welt, ein hervorragender Komponist und auch noch ein Dirigent. Im letzten Abonnementskonzert der Deutschen Kammerphilharmonie, mit der der Künstler seit Jahren eng verbunden ist, präsentierte er sich im Jahr seines sechzigsten Geburstages in allen drei Disziplinen, wie man im Sport so schön sagen würde.

Die Programme, die Holliger macht, sind immer interessant und reich an Dimensionen und Aspekten. So auch dieses in der Glocke. Es erzählte von Tod und Aufbruch, von Grenzen: So hörten wir im ersten Teil des Konzertes Haydns „Vorstellung des Chaos“ (aus der Schöpfung) mit seinen harmonischen Kühnheiten und seiner überraschenden Wendung nach Dur, J. S. Bachs tröstliche Solokantate „Ich habe genug“, Mozarts erlösende „Maurerische Trauermusik“ und Holligers Reflexion über Mozarts Terzen aus der Trauermusik, „Ostinato funebre“.

Wie immer boten die MusikerInnen der Kammerphilharmonie bestechende Interpretationen voller Esprit, voller nuancenreicher Klangfarben, voller rhythmischer Spannung. Gerade die beiden Wendungen nach Dur bei Joseph Haydn und Mozart erstrahlten wunderbar. Oliver Widmer sang die Bach-Kantate ebenso schön wie auch etwas indifferent, da kam es zu wenig zu einem spannungsvollen Dialog mit der Solo-Oboe, die Holliger mit seidenglattem Ton zelebrierte. Großartig auch die Wiedergabe des „Ostinato funebre“, jenem fragilen Gebilde zwischen Geräusch und Stille in der traditionellen Form einer Passacaglia.

Wahrscheinlich hat Heinz Holliger einen 60-Stunden-Tag zur Verfügung, denn er schafft es auch noch, verschollene Musik zu finden. So die des Böhmen Jan Dismas Zelenka, der 1722 „Lamentationen“ für die Feiern zu Karwoche am Dresdener Hof geschrieben hat. Sie lohnen die Ausgrabung in der Tat: Der Text des Propheten Jeremias erklingt höchst abwechs-lungsreich. Oliver Widmer war hier viel mehr in seinem Element als bei Bach. Arnold Schönbergs seltener zu hörenden Kammersinfonie Nr. 2 op. 38 merkte man ihre „Tonalität“, in der das Werk 1939 überraschenderweise geschrieben wurde, nicht an – so grell, so wild, so katastrophisch gibt es sich. Die Wiedergabe dieses Stückes gelang erheblich besser als alle anderen Stücke: ein klingender Beweis, daß das Repertoire der letzten Jahrhundertwende spitzenmäßig bei den Kammerphilharmonikern aufgehoben ist. Langer und herzlicher Beifall für ein Konzert von überzeugender Verbindlichkeit und Geschlossenheit.

Ute Schalz-Laurenze