Kurs auf den Feuervogel

Der junge Choreograph Christoph Winkler erprobt im Kleinen, was einmal ein Großprojekt werden soll. In der Tanzfabrik sind erste Ergebnisse zu sehen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Tanztage Pfefferberg, SoloDuo Festival im Theater am Halleschen Ufer, Tanzfabrik: Christoph Winkler tastet sich langsam vor in der Berliner Tanzszene. Im Programm „Tanz im Studio 1“ teilt er sich einen Abend mit dem Duo Alkyonis, die spröde, minimalistisch und in Lichtbildern wie in einer dichten Melancholie gefangen von der Unerreichbarkeit des Anderen erzählen. Dagegen treten die kurzen Stücke von Christoph Winkler mit einer tänzerischen Power an, die verrät: Hier will einer alles von seinen Tänzern, um die Sprache des Tanzes voranzutreiben.

Eine Ausnahme unter den Choreographen der freien Szene ist Winkler schon deshalb, weil er seine Stücke immer für andere entwickelt hat. Zwar geht er jeden Tag selbst „in den Saal“, um zu tanzen, aber die Basis seiner Arbeit ist nicht das Schürfen in der Selbsterfahrung oder das Lauschen nach innen, sondern neue Zugänge und Sichtweisen zum Kapital der ausgebildeten Körper der Tänzer zu finden. „Es gibt auf der Welt noch immer mehr klassisch ausgebildete Tänzer als andere“, beschreibt er seine Überlegungen „und wie man das ohne Allüren nutzen und trotzdem eine zeitgenössische Relevanz erreichen kann, das ist meine Herausforderung.“

Mit sechzehn Jahren war er leidenschaftlicher Breakdancer in Torgau, ging in Folkloregruppen „der Mädels wegen“ und entschloß sich mit achtzehn zu einer Ausbildung an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Weil er dort die hochgesteckten Ziele als Tänzer nicht mehr erreichen konnte, hat er gelitten und steht dennoch zu dem, was unter der Knute der Ballettmeister an Arbeitsethos und handwerklicher Präzision vermittelt wurde.

Damit packte er in den folgenden Jahren alles an – ob nun „zehn Elefanten in der Manege tanzen sollen“, ein Ferienclub eine Animiershow will oder ein Stadttheater fürs Musical nicht mehr als Hacke, Spitze, eins, zwei, drei braucht. Dafür werden noch immer Gagen bezahlt, wie man sie in der freien Szene nie erreicht. Mit den Honoraren aus diesen Aufträgen leistete sich Winkler die Entwicklung eigener kleiner Stücke, oft Vorstudien größerer Projekte. Jetzt hofft er, mit einem Job in Berlin (“Angebote tippen in einer Baufirma“) bleiben und das erarbeitete Material in größeren Stükken verknüpfen zu können. Bis zum Fernziel mit „fünfzig Tänzern Stücke für tausend Zuschauer zu machen“ ist es allerdings noch höllisch weit – solche Träume hat mir in der freien Tanzszene noch niemand gestanden.

Das „Solo 1“ für Peggy Ziehr ist erster Baustein seines „Firebird-Projects“, in dem Winkler in sechs Soli mit Tänzern und Schauspielern Themen aus dem Feuervogel bearbeiten will, jeweils in einer anderen Sprache. Für Ziehr hat er Zitate aus dem „klassischen Kanon der Tanzfiguren“ mit einer fremden Dynamik gebrochen und läßt sie aus tradierten Formen in ganz andere Körperbilder abstürzen. Vier Tage nach der Premiere proben sie wieder, schleifen an der Schärfe der Brüche. Statt an das Flügelflattern des Feuervogels erinnert Ziehr in ruckartigen Verschraubungen an einen Propeller im roten Licht. Emotional eintauchen kann man da nicht; schon der schrille Ton, der anfangs in den Ohren brennt, hält einen draußen. Das ist keine Verführung, sondern deren Dekonstruktion. Geschult an Brecht und Castorf ist Emotionalität für Winkler ein Gut, mit dem man zur Zeit sparsam umgeht.

Die Strategie der kurzen Stücke ist nicht nur der knappen Kasse, sondern auch der Erkenntnis geschuldet, die Defizite des zeitgenössischen Tanzes in der DDR nicht auf einen Schlag überwinden zu können. „Als die Mauer fiel und ich sah, daß die Moderne im Osten ausgefallen war, habe ich erst mal viele Konzepte studiert und den Ball flach gehalten.“ Zwei, drei Jahre habe es gedauert, bis er die eigene Körperarbeit nicht mehr als anachronistisch empfand.

Was ihm fremd geblieben ist in vielen Produktionen heute, ist die Haltung der Verweigerung, das Anhalten des Tanzes, um den Körper jenseits aller Formen sichtbar werden zu lassen. Das empfindet Winkler als parasitäre Attitüde gegenüber dem, was sich der Tänzer täglich so hart erarbeiten muß.

So ist die Studie „Nocturne“ für Dan Pelleg und Marko E. Weigert, die beide zur „toladá dance company“ gehörten, vor allem von physischer Kraft geprägt, langsam, weich und athletisch. Den Kern des Duetts, die Interaktion in der Beziehung, lösen sie in ein Nach- und Nebeneinander auf, das sich wie Zahnräder verschränkt und ineinanderfügt.

Im Frankfurter Ballett von William Forsythe oder im Nederlands Dans Theater von Jiri Kylian findet man das ausformuliert, woran Winkler arbeitet. In Berlin dagegen haben die Ballett-Compagnien der Opernhäuser dieses Feld noch nicht besetzt. Deshalb ist es eine Herausforderung geblieben.

Alkyonis „I want to see you ...“ und Christoph Winklers „Firebird-Project, Solo 1“, „Nocturne“ im Tanz im Studio 1, Tanzfabrik, Möckernstr. 68, 4. bis 6. Juni, 21 Uhr